Drei nach neun und das Menetekel
Drei nach
neun und das Menetekel
Letzten Freitag saß ich auf der Couch und war
eigentlich schon sehr, sehr müde. Aber wie das so ist, wenn man eigentlich müde
ist und eigentlich früh schlafen gehen will, weil man eigentlich morgen früh
aufstehen muss und eigentlich schon die letzten Abende zu spät ins Bett
gegangen ist und eigentlich schon zehn mal gegähnt hat und eigentlich gar nicht
mehr den Fernseher anmachen will – uneigentlich war auf einmal der Fernseher an
und ich auf der Couch, weit weg vom Bett und noch viel weiter weg vom schlafen
und am nächsten morgen fit und ausgeschlafen sein.
Es war Freitag neun Uhr, genauer gesagt drei nach neun
und es begrüßte mich das charmante Duo der gleichnamigen Sendung und ich
stellte wieder einmal fest, dass wenn ich 30 Jahre älter wäre der Mann mit dem
italienischen Charme und dem Blick der ausstrahlt, dass er sehr seriös zu jedem
Thema etwas sehr bedeutsames sagen kann, doch auch für mich infrage käme und
dagegen die blonde Nachrichten Frau nicht so mein Fall ist.
Alles war wie immer, runder Tisch, gemischte und nicht
geschüttelte Gäste und nett aussehendes Publikum im Hintergrund. Ich kuschelte
mich auf der Couch ein und wollte mich gerade entspannt zurücklehnen und
berieseln lassen als die blonde Frau im Fernsehen aufstand und statt im Kreis
zu sitzen aus dem Studio ging und die Kameras auf den frisch enthüllt
kupferglänzenden Turm der Stephani Kirche zeigten.
Der ernste Blick, der sonst nur bei terroranschlägen
in den Augen der blonden blauäugigen blendend aussehenden Moderatorin war, ließ
mich erschaudern. Da war es, was es auch war, es war da, war auf dem Turm, war
es gemalt, geschrieben, gezeichnet. Ich bekam eine Gänsehaut, zog die Decke um
mich und lauschte gebannt ihren Worten: gestern Nacht ist es geschehen, noch
nie gesehen in bremen. Fluch oder Streich? Vorhersehung oder Kunst?
menschlicher oder göttlich?
Auf dem Turm der Kirche ein Zeichen. Alle rätseln,
viele trauen sich nicht mehr aus ihren Häusern. Was hat das zu bedeuten?
Ja, was, ja was? Meine Gänsehaut war überall ich
erschauderte und folgte der Kamera zurück ins Studio. Der charmant seriöse
Italiener guckte mich direkt an und ließ meine Gänsehaut vibrieren:
wir wollen wissen was geschah. Wir werden das
Geheimnis lüften. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen. wir lassen sie
nicht im Stich!
Puh, da war ich schon etwas beruhigter, niemand würde
mich im Stich lassen. einmal tief Luft holen. Ein, aus, ein aus.
Und weiter zur expertenrunde. Kameraschwenk auf Vier
Menschen, drei Männer und die obligatorische quotenfrau.
Quotenhaft war sie auch noch blondgelockt mit
stupsnase und hübschem Zopf, noch recht jung und merkwürdigerweise hatte sie
einen Besen dabei. Aber wer weiß schon was bei der Jugend von heute nicht
gerade so angesagt ist. Hey was meinst du passt der Besen oder der Staubsauger
besser zu meinem Outfit? Ganz bestimmt war der Besen doch gesponsert!
Neben dieser jungen besen-influencerin saß ein
romantisch–melancholisch in die Ferne, bzw. in die Kamera blickender junger
Herr mit föhnfrisur und steifem Kragen, er hatte ein Block mit feder dabei –
noch so ein hipster...
neben ihm ein Mensch mit migrationshintergrund noch
recht jung, aber auch irgendwie alt mit dickem löwenring und einem apokyalypse
now tshirt.
Daneben der letzte in der Runde ein Mann mit langem
Bart und leicht blass aussehend, ein dickes B zierte sein Shirt und sein
Gesicht ein missmutiger Ausdruck.
Es war mittlerweile dreiundzwanzig nach neun und ich
fragte mich wann ich so alt geworden war, dass ich wirklich niemand prominenten
mehr kannte und erkannte in so einer Runde. Doch der seriös attraktive doppelt
wählende Italiener beruhigte mich mit seinen sanften braunen Augen indem er
sagte:
heute haben wir neben mir als sehr seriösen nur
seriöse Experten eingeladen. Beginnen wir doch mit Ihnen Herr Daniel, denn wenn
es um Zeichen an der Wand geht, sind Sie Unser seriöser der seriösen Experten.
Er drehte sich zu dem jungen Mann mit löwenring und
Apokalypse now tshirt, der eifrig nickte und dann lässig begann an seinem Ring
zu drehen und leise zu sprechen, ja fast zu flüstern, mit einem merkwürdigen
Akzent:
lehnen sie sich einfach zurücktuend träumen sie,
Träume sind der beste Ratgeber, immer schön träumen, kein Grund zur Sorge. Ich
habe schon ganz andere Zeichen gesehen, das hier ist nur ein Hauch von einem
Traum. Hier sind ja gar keine Tiere dabei, sind da welche aus dem Wasser
gestiegen? Einen Panther mit Flügeln und Hörnern, die wiederum sprechen? Also
bitte, dieses kleine was es auch immer war und was es auch immer sein wird,
bleiben sie da mal ganz entspannt. Kein Weltreich wird untergehen, weder eins
noch vier, bleiben sie entspannt und träumen sie...
Wenn ich den gütlichen Daniel kurz unterbrechen
dürfte!
Kam es von der anderen Seite des Tisches und der Junge
romantische Herr mit föhnwelle hob sanft die romantisch melancholische
Augenbraue.
Also mir eröffnet sich keinerlei entspannungsmoment.
Ich sehe großes Leid, große Gefühle, tief ins Herz gehend, leidenschaftlich,
existenziell.
Na wenn der nicht Künstler ist, dachte ich bei mir und
merkte wie ich ganz hypnotisiert der romantisch melancholischen Augenbraue
zusah wie sie bei jedem Wort des Künstlers im Bogen sich hob und senkte.
Wieso sehen sie keinen Grund zur entspannung lieber
Herr Heine?
Fragte die blonde Nachrichten Blondine und schaute ihn
herausfordernd unromantisch und umleancholisch auf die augenbrauen.
Wie ich es in meinem legendär oft zitierten und
schülerquälenden Werkes beschrieb sind Zeichen an der Wand nicht zum
dahinträumen, höchstens zu, dahinalpträumen, sie sind aufrüttelnd, sie sagen
uns was sein wird, sei das Elend auch noch so grämlich und grausam...
HA! Machte es vom anderen Ende des Tisches und der
bärtige dickes B–Träger haute auf den Tisch.
Grausam ist gut! Grausam war mein Ende. Grausam das
Zeichen. Grausam die Hand des Knechtes, der mich köpfte.
Nun erklärte sich mir auch seine Blässe.
Grausam wird auch hier jemand sterben! Grausamkeiten
grassieren grade! Grausam, grausam, grausam!
Um Ihr grausames Gejammer und klagen zu unterbrechen
werter Herr belsazar. ich danke Ihnen bis heute für diese grandios
künstlerische Vorlage!
Der romantisch melancholische Herr Heine stand auf und
küsste dem dicken b den Ring. Entschuldigen Sei bitte!
tönte es vo. Löwenring Apokalypse now Mann
Wenn sie hier jemandem zu danken haben, dann ja wohl
mir! Und meinen grandiosen träumen! Wer hat sich denn den ganzen
Zeichen–Gesichte–Quatsch mit Tieren und diesem scheiss schweren arkaddischen
Teil rumgeschlagen! Ja ich ja wohl!
Das ganze schien zu eskalieren, die drei Männer warfen
sich bitterböse blicke zu und der bärtige ballte bastiardisch seine Faust. Da
griff mein lieblingsitaliener ein:
also bitte meine Herren beruhigen Sie sich. Sie sind
hier seriöse Experten, die uns etwas zu diesem unseriösen Zeichen sagen sollen.
Menetekel.
Was?
Das ist kein Zeichen, das ist ein Menetekel. Ein sehr
seriöses Menetekel.
Herr Gott nochmal!
Oh das sagen sie jetzt mal lieber nicht zu laut...
der bärtige schaute unsicher an die Studio Decke.
Menetekel und dann der da, das ist keine gute Mischung
glauben sie mir.
Der sonst so seriöse Italiener war nun nicht mehr
seriös und sah sehr verunsichert zu seiner blonden Blondinen Kollegin, doch die
war ebenso unseriös ratlos blickend und schaute immer noch auf die romantisch
melancholische Augenbraue.
Ich war verwirrt und verunsichert und kurz davor das
ganze auszuschalten. Konnte ja anscheinend doch keiner erklären was das nun
war, das da auf dem Turm war, wenn es denn da war. Doch wir hatten alle die
quotenfrau mit ihrem gesponserten Besen vergessen. Plötzlich stand sie auf dem
Tisch und rief:
Ene mene glitzerschuhe, hier herrscht jetzt sofort
Ruhe! Hex, hex!
Da war sie Bibi blocksberg, ich war erleichtert ich
kannte doch noch jemanden!
Also ich als ene mene Expertin möchte folgendes sagen.
Stille im Studio. Stille auf meiner Couch. Stille, seriöse
stille. Sogar die Augenbraue bleib wo sie war. Bibi räusperte sich noch einmal
und sagte dann laut und fröhlich:
ein menetekel ist ein menetekel ist ein Menetekel.
Ganz bestimmt wird jemand sterben heute, ganz bestimmt kommen Tiere aus der
Weser, ganz bestimmt ist das alles absolut existenziell – wenn ihr es denn
glaubt! Das menetekel Menetekelt und ihr lasst euch menetekeln. Aber fragt
euch: Menetekelt ihr noch, oder handelt ihr schon?
Und mit einem ene mene Osterei, wir fliegen los
Kartoffelbrei flog sie aus dem Studio. Und weil scheinbar niemanden mehr etwas
seriöses einfiel rannten sie alle nach draußen und blickten auf den Turm und
das menetekel, das im Dunkeln vor sich hin Menetekelte. Es war dreiunfünfzig
nach neun.
Ich machte den Fernseher aus und ging ins Bett.
Ich wollte ja morgen früh aufstehen.
Der Slam als Video:
https://www.youtube.com/watch?v=1IUqsihk5L8
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