In Sachen Jericho gegen Rahab
Bitte erheben Sie
sich.
Wir kommen zum
Abschluss der Verhandlung in Sachen Jericho gegen Rahab. Die Angeklagte wird
des Verrats, sowie des Mitwissens im Fall vom tausendfachen Mordes beschuldigt.
Wir kommen nun zu den
Schlussplädoyers.
Bitte Herr Staatsanwalt, Sie
haben das Wort:
Plädoyer des Staatsanwalts
Tausendfacher Mord. Tausendfach. Tausend Menschen. Lassen
Sie es sich auf der Zunge zergehen. Stellen Sie sich dieses Grauen vor.
Wir haben es in der Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung
gehört. Sogar aufgeschrieben wurde der Mord, stolz festgehalten das Grauen im
Bericht des Josua: „Sie erschlugen nach dem Befehl des
Herrn alles, was in der Stadt lebte, mit dem Schwert: Männer und Frauen, Kinder
und Alte, Rinder, Schafe und Esel.“
Sie erschlugen alles mit dem Schwert. Eine ganze Stadt
schwimmt in Blut. In Leichenteilen, in Schreien des Grauens, im Flehen um
Erbarmen.
Doch
es gibt kein Erbarmen. Sie flehen vergeblich.
Ganz Jericho stirbt. Wird dahingemetzelt.
Ganz Jericho?
Nein. Ein Haus und seine Bewohner bleiben verschont. Ein
Haus direkt an der Stadtmauer. Wo die todeswütige Armee doch eigentlich zuerst
Halt machen müsste. Doch hier scheint es Erbarmen zu geben. Die Menschen im
Haus mit dem roten Band an der Tür werden verschont. Einfach so.
Einfach so?
Nein. Durch den Verrat einer Frau werden sie verschont.
Durch den Verrat dieser Frau sterben Tausende und leben nur ganz wenige
Auserwählte. Ganz wenige. Nur die, die ihr etwas bedeuten. Ihre Familie und die
Menschen, die sonst noch in ihrem Haus arbeiten. Und nebenbei bemerkt, die in
einem sündigen Haus arbeiten. In einem Bordell! So ein Haus wurde gerettet.
Alle anderen, ehrbaren Häuser wurden abgestochen. Kleine Kinder vernichtet und
eine Prostituierte und ihr Gesinde werden verschont!
Weil
die Prostituierte eben nur an sich gedacht hat.
Rahab.
Dort sitzt sie. Noch immer sehe ich keine Schuld in ihren Augen. Keine
Gewissensbisse. Wo waren Sie als die Kinder ermordet wurden? Als das Flehen um
Erbarmen in Jericho ungehört verhallte? Als die Klingen der Schwerter auf die
Köpfe sausten? Wo waren Sie? Haben Sie sich die Ohren zugehalten? Haben Sie gar
gefeiert, gemütlich in ihrem geschützten Haus gesessen und sich beglückwünscht?
Zu diesem Verrat? Auf ihr neues Leben angestoßen?
Die
Angeklagte wollte uns dazu in dieser Verhandlung keine Antwort geben. Hat immer
wieder nur Ihren „Glauben“ beschworen. Dass sie das getan habe, was der „Herr“
von Ihr verlangt habe. Mit Wünschen von „Herren“ kennt sich die Angeklagte ja
von Berufs wegen gut aus. Sie hat dafür gelebt die Wünsche von Männern zu
erfüllen. Sie fügt sich. Aber nicht umsonst! Früher für Geld. Diesmal für ein
Überleben und gleichzeitig für ein neues und glorreiches Leben.
Denn
nicht nur, dass die Angeklagte den Tod tausender Menschen in Kauf genommen hat
und sich geschützt. Sie hat sich zusätzlich als Heldin feiern lassen und später
so haben wir es in Berichten gelesen, sogar noch den Anführer der Todesarmee,
Josua, geheiratet.
Die
Gegenseite hat in dieser Verhandlung immer wieder von „Zivilcourage“ und „Mut“
gesprochen! Und ich frage erneut: Wie können Sie das Wort „Zivilcourage“ in
diesem Fall auch nur in den Mund nehmen? Die Angeklagte hat gegen ihre
Mitbürger und Mitbürgerinnen gehandelt. Sie hat sich absolut nicht zivil
verhalten. Couragiert war sie, keine Frage. Doch nur in ihrem eigenen
Interesse! Sie war Egoistisch-couragiert und erbarmungslos.
Die
Angeklagte war clever, keine Frage. Und wenn die Gegenseite wenigstens auf
Notwehr plädieren würde. Denn ja, die Lage der Stadt Jericho war nicht gut. Die
gegnerische Armee zu groß und zu stark. Eine fanatische Armee, die sich auf der
richtigen Seite glaubt und dadurch eine noch größere Stärke gewinnt. Dass ich
mich selbst schützen will, ist menschlich. Also es hätte ein Verrat aus Notwehr
sein können.
Doch
wir haben es gehört, die Angeklagte glaubt absolut nichts falsch gemacht zu
haben. Sie sieht sich auf der richtigen Seite. Sie ist zur Fanatikerin
geworden. Ihr Glaube rechtfertigt alles. Der Sieg ihres „Herrn“ war göttlich
und darum das einzig Wahre. Ihr „Herr“ wollte, dass den Kindern der Kopf
abgeschlagen wird. Ihr „Herr“ wollte, dass alle sterben, nur sie und ihre
Familie nicht.
Und
damit komme ich zum Schluss. Denn ich frage sie: Was ist das für ein Gott, der
will, dass Kinder sterben? Was ist das für ein Gott, der eine Prostituierte
rettet und tausend andere Menschen nicht? Was ist das für ein Gott, der für die
einen ist und gegen die anderen?
Was ist das für ein Gott?
Was
ist das für ein Glauben?
Ich
halte diesen Glauben nicht für gerecht. Ich halte die Angeklagte in allen
Punkten für schuldig. Rahab ist eine Verräterin! Sie hat in ihrem eigenen
Interesse den Tod Tausender in Kauf genommen und bewusst gehandelt. Sie zeigt
keine Reue und ist darum zu verurteilen.
Wir kommen zum
Schlussplädoyer der Gegenseite. Bitte Frau Anwältin:
Plädoyer der Verteidigerin
Rahabs
Ich
möchte mich zunächst einmal beim Herrn Staatsanwalt für die dramatischen Worte
bedanken. Abgemetzelt, Flehen nach Erbarmen, Schwerter die auf die Köpfe
unschuldiger Kinder sausen. Danke für dieses wunderbar-grausame Kopfkino! Wir
können uns nun wirklich gut vorstellen wie das war in Jericho.
Doch
können wir das wirklich?
Ich
zumindest war nicht dabei. Ich habe nur davon gelesen. Ich habe nur den Bericht
der Sieger gelesen. Und Sieger wollen immer glorreich aussehen. Wollen in allen
Farben ausmalen, wie großartig ihr Sieg doch war. Schillernd und glänzend. Sich
rühmen im Bad des Gewinns. Ob der Sieg wirklich glorreich war? Ob alles so
geschehen ist, wie es im Bericht der Sieger steht? Wir wissen es nicht.
Wir
wissen. Jericho wurde laut des Berichts erobert. Die lange Reise von Menschen.
Die lange Suche nach einer neuen Heimat. Nach einem Zuhause. Nach Halt und
Geborgenheit. Sie kommt ans Ziel. Endlich. So viel haben die Menschen gelitten,
gekämpft. Für Freiheit und für ihren Glauben. Sie waren Unfreie in Ägypten.
Ihre Kinder wurden ermordet, sie mussten fliehen. Als Flüchtlinge sind sie
durch die Wüste geirrt. Und jetzt kommen sie ans Ziel. Sie die Schritte in ihr
neues Zuhause. Dass ihnen versprochen wurde. Dass sie sich verdient haben.
Das
ist der andere Bericht. Der ohne glorreiche Siegschilderungen, die doch nur
Stärke nach außen zeigen wollen und nicht unbedingt der Realität entsprechen
müssen. Die Realität ist der Herzenswunsch dieser vertriebenen Menschen nach
einem neuen Zuhause. Der tiefe Glaube an einen Gott, der sie beschützt und
behütet. Der für sie ist.
Und
meine Klientin hat diesen Bericht gehört. Erzählt bekommen von den beiden
Männern, die bei ihr ein Versteck gesucht haben. Die sie gebeten haben sie zu
beschützen. Rahab hat ihnen zugehört und ihren Glauben und ihren Herzenswunsch,
ihre Sehnsucht gespürt. Sie hat sich von den ehrlichen Worten und Gefühlen der
Männer bewegen lassen. Und ich frage sie: Was ist falsch daran?
Was
ist falsch daran, den Vertriebenen, den Geflüchteten zu helfen? Die Sehnsucht
der Leidenden zu erfüllen? Und den Glauben an den schützenden Gott zu teilen
und zu stärken?
Rahab
ist eine ehrbare Frau. Alle Versuche der Gegenseite sie wegen ihres Berufs in
ein schlechtes Licht zu rücken sind verwerflich. Sündhaft! Ich will gar nicht
wissen, wie oft Sie lieber Herr Staatsanwalt schon in einem Haus wie das meiner
Klientin waren! Ja, ihr Beruf war es die Wünsche von Männern zu erfüllen. Und
gleichzeitig war sie eine selbstständige Frau, mit einem eigenen Haus. Sie war
eine „Herrin“ und hat sich ihre Wünsche erfüllt. Ich frage erneut: Was ist
daran verwerflich?
Und
ich frage sie: Was hätte meine Klientin denn tun sollen? Zu den „Herren“ der
Stadt gehen und die Männer verraten? Die Flüchtlinge, die sie bei sich
versteckt hielt? Sie verraten? Die „Herren“ der Stadt hätten sie alle getötet.
Ohne mit der Wimper zu zucken. Es wäre ihnen egal gewesen, was die Männer über
ihre Vergangenheit berichtet hätten. Sie hätten kein Erbarmen gezeigt! Für die
„Herren“ an der Macht zählt der Erhalt ihrer Macht. Zählt, dass alles in
Ordnung bleibt. Dass keine Fremden kommen und ihre geordnete Stadt verändern
wollen. Meine Klientin wusste das. Sie kennt die „Herren der Macht“. Sehr gut.
Und
sie kenntjetzt einen anderen „Herrn“.
Sie hat von ihm durch die beiden Männer. Von der Liebe, dem Schutz, der
Geborgenheit. So ein ganz anderer „Herr“. Der sie nicht verurteilt, weil sie
eine Prostituierte ist. Der die Stärke einer selbstständigen Frau sieht und
anerkennt. Der ihre Stärke noch stärker macht.
Der
„Herr“ ist der Gott, der die Geflüchteten auf ihrer Reise begleitet hat. Der
Gott der liebt und vergibt.
Meine
Klientin weiß um den tausendfachen Mord. Sie hat sich für eine Seite
entschieden. Für die Seite der Vergebung und der Hoffnung.
Und
ich frage sie: Was ist daran falsch?
Rahab
ist eine Heldin. Sie hat die Geflüchteten beschützt und mutig ihr Leben aufs
Spiel gesetzt. Sie hat nicht eigennützig gehandelt, wie es die Gegenseite
behauptet. Sie hat couragiert FÜR die Menschen gehandelt. Für die Hoffnung.
Zum
Schluss meines Plädoyers möchte ich darum noch einmal ihr Bekenntnis vortragen:
Am Tag, als ich dich rief, hast du mir
geantwortet.
Du erfülltest mein Leben mit Kraft.
Du bist erhaben:
Die gering sind, siehst du, die
hochmütig sind, erkennst du von fern.
Auch wenn ich mitten durch Bedrängnis
gehen muss – du belebst mich.
Gegen den Zorn derer, die mich
anfeinden,
streckst du deine Hand aus, deine
Rechte wird mich retten.
Du wirst es für mich beenden.
Das,
lieber Herr Staatsanwalt, liebe Gemeinde ist ein Glauben. Ein gerechter. Das
ist ein Gott, der hört. Der liebt. Der schützt. Das ist ein Gott, der die
kleinen und geringen schätzt. Das ist ein Gott der FÜR die Menschen ist.
Ich
halte diesen Glauben für gerecht. Ich halte die Angeklagte in allen Punkten für
nicht schuldig. Rahab ist eine Heldin! Sie hat mutig und mit bestem Wissen und
Gewissen den Geflüchteten geholfen. Sie hat im Glauben an einen schützenden
Gott gehandelt und ist darum nicht zu verurteilen.
Vielen Dank Frau Anwältin.
Wir bitten nun die Geschworenen zu urteilen. Lassen Sie sich Zeit. Sie haben
die Argumente gehört. Was ist richtig, was ist falsch?
Was urteilen Sie: Ist die
Angeklagte Rahab schuldig oder unschuldig?
Ist Rahab eine Verräterin
oder eine Heldin?
Predigttext: Josua 2
Gehalten am 13.10.2019
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