Gegen das Menetekel


Gegen das Menetekel

Ich war neulich auf einer Tagung.
Ein paar Tage tagte ich in Loccum. Loccum, das ist ein Kaff irgendwo im Nirgendwo, wo der Rossmann dein Leben rettet und das kleine große E oben rechts auf deinem Smartphone dir ständig betonend sagt: ja, du bist irgendwo im nirgendwo!
Dort war ich also auf dieser Tagung und tagte in der Akademie, wo es als Vorspeise Rote-Beete Smoothie und als Hauptgang Linsenfrikadellen mit Spitzkohl gibt.
Das isst man wohl so irgendwo im nirgendwo und dann gehst du in den Wald spazieren, wo eine Frau umgebracht wurde und mein Vater seinen Wehrdienst geleistet hat. Und dann tagt man wieder.
Bei dieser Tagung bei der ich nun eben neulich mittagte, tagten viele wichtige Männer mit wichtigen Titeln und ich.
Ich ohne Mann und ohne Titel und ohne wichtig, dafür der bestimmende Faktor, der die Alterskurve etwas weiter nach unten sank.
Wir tagten und saßen dabei viel herum. Ab und zu standen wir auf, um Kaffee zu trinken oder den Raum zu wechseln und dann saßen wir wieder mit Linsen im Bauch und Linsen in der Luft und tagten vor uns hin.
Worüber wir tagten? Ja ihr werdet es mir kaum glauben aber es war tatsächlich so, wir tagten über Kulturkirchen. Och nee werdet ihr jetzt sagen, och nee. Irgendwo im nirgendwo über Kirche Tagen mit Linsen und wichtigen Männern, das klingt nicht spannend, das klingt nicht unterhaltsam, danke du kannst abtreten.
Und ja als ich da tagte da wollte ich abtreten, in den Wald der mörder und Soldaten fliehen, ja ich wollte abtreten, denn da saßen wir nun und tagten über Kulturkirchen und statt über das Thema zu reden taten die wichtigen Männer das, Was sie am besten konnten  – sie redeten über sich.
Sie redeten und die linsenluft schläferte mich ein und als ich gerade wegdämmerte und von 4G Internet und Wäldern ohne mördern träumte, da geschah es, da war es, die Luft wurde kalt, man sah unseren Atem, stille war wo vorher gejammert wurde
und dann erschienen von Geisterhand folgende Worte an der Wand:

Die Kirche geht unter, sie sind alle weg.
Das Schiff ist verlassen es hat ein Leck am Heck.
Ihr werdet ertrinken, ihr werdet untergehen!
Wir werden euch qualvoll sterben sehen!

So schnell wie sie erschienen war verschwand die Schrift, doch blieb sie im Raum. Der Atem stockte, man hätte eine Linse zu Boden fallen hören können. Und dann lagen sie sich alle in den Armen.
Die wichtigen Männer sie klopften sich auf die Schultern, sie unterdrückten, wie sie es lebenslang gelernt hatten, gekonnt ihre Tränen und sagten sich immer wieder: Ach ja wir sind so arm dran, wir gehen unter. uns hat doch keiner lieb, wir haben keine Zeit, wir haben kein Geld, wir haben keine Kraft,  ach wir armen Kirchenmenschen, wir werden alle Sterben.
Sie sangen ihr Requiem auf die Kirche und sich selbst. Sie sangen und klagten und weinten ungeweinte Tränen auf die, die untergehen soll, über die die dunkle Prophezeiung gesprochen worden war. Träume von vollen Kirchen zerplatzten wie Glaskugeln gestapelt bis zur Decke und dann kommen die Todesser und alle Kugeln zerschellen, die Prophezeiungen zerschellen, wie ein Schiff am Eisberg, wie die Titanik namens Kirche zerschellt und untergeht.
Kulturkirchen würden uns auch nicht retten, die Tagung war schlagartig beendet und alle verließen fluchtartig den Ort irgendwo im nirgendwo. Was sollte man denn noch groß tun, wieso weiterreden, wieso Ideen haben, wieso, wenn doch alles umsonst is, wenn alles stürzt, lieber die Hände in den Schoß legen, lieber den Kopf in den Sand stecken. Was können wir denn dafür?

Auch ich fuhr weg aus diesem Ort irgendwo im nirgendwo, ich fuhr am Wald und am Rossmann vorbei und freute mich auf ein linsenfreies Zuhause, da liefen im Radio die Nachrichten. Es gab viel zu berichten über wichtige Männer mit wichtigen Titeln und dann kam die Meldung und dann geschah es erneut,

Da erschienen von Geisterhand folgende Worte an der Wand:

Die Kirche geht unter, sie sind alle weg.
Das Schiff ist verlassen es hat ein Leck am Heck.
Ihr werdet ertrinken, ihr werdet untergehen!
Wir werden euch qualvoll sterben sehen!

Apokalypse 2060. Bis 2060 50% weniger Menschen in der Kirche, und dann ein paar Jahre später der unaufhaltsame Tod, Exitus, Schicht im Schacht. stille im Auto und im Radio. Die eisige Hand der dunklen Prophezeiung im Nacken.
Die wichtigen Männer im Radio klagten und jammerten und sangen ihr Requiem: ach wie furchtbar, ach wie schrecklich, ach wie grausam, ach wie... und so weiter und so fort. Sie klagten und versuchten es mit ausreden. Das hat ja keiner gewusst, dass wir die jungen Menschen nicht ansprechen! Wir dachten wir sind unschuldig und die Menschen sterben einfach! Aber das wir da was machen können, nein, das hat uns keiner verraten. Woher sollten wir das denn wissen? Ach und wenn wir weniger werden ist es auch nicht so schlimm. Mit fröhlichem Gottvertrauen haben wir auch zu dritt Erfüllende Gemeinschaft, denn ihr wisst ja, wo zwei oder drei.
Jetzt bloß keine Panik auf der Kirchentitanik!

Und da stieg ich auf die Bremse, Notbremsung, in der Fahrschule gelernt und geübt, endlich kam sie zum Einsatz. Notbremse, halt, stopp, stehen geblieben.
All die wichtigen Männer stapelten sich hinter mir, wie die Elefanten im Dschungelbuch, ich zwang sie stehenzubleiben, ich zwinge euch stehenzubleiben: Hände hoch und Hose runter.
Und dann volles Drama! Ja, Drama und Apokalypse! Mit alle, was dazugehört, Blitz und Donner und Feuerball und Heulen und Angst und zittern und Zähneklappern. Feuerrote Augen, Feuer mitten hinein in die Eiseskälte des Menetekels. In Das kopf in den Sand stecken, das sich gegenseitig bemitleiden, mitten hinein in das Jammertal der Würdenträger, mitten hinein in das ach so fröhliche gottvertrauen, das schon alles regeln wird.

Denn, nein! Nein und nochmals nein, das fröhliche gottvertrauen wird es nicht regeln, denn zu erst einmal: welche Fröhlichkeit? Ich sehe sie nicht, oder kaum oder fast nie! Fröhlichkeit ist in unserer Kirche doch eine aussterbende Art! Immer ist alles zu knapp, die Zeit, das Geld, die Menschen. Wir machen doch so viel und trotzdem kommt keiner! Ja, natürlich macht ihr alle verdammt viel! Wahrscheinlich viel zu oft viel zu viel. Viel zu oft viel zu volle Kalender, viel zu verdammt lange arbeitstage, viel zu lange Sitzungen, viel zu viele Abende ohne eure Kinder und Freunde und Freundinnen und Ehefrauen und Ehemänner und Hunde und Katzen und euren Lieblingsesseln und euren schönheitsschlaf. Viel zu viel verschenkte Zeit für Angebote, die nur noch drei Menschen nutzen. Ja wo zwei oder drei, ich weiß! Aber diese zwei oder drei reichen mir nicht!

Denn ich habe eine verdammt fröhliche Botschaft! Und jetzt entschuldigt bitte ihr lieben nicht-Gläubigen und „die Kirche bekommt sowieso zu viel Geld“ sager und Sagerinnen, ihr die ihr doch nur Poetry-Slam und keine Predigten hören wolltet, ja ich habe eine verdammt fröhliche Botschaft für alle, die sie wollen, die etwas mit ihr anfangen können. Ich will diese fröhliche Botschaft eben nicht nur drei Menschen erzählen. Ich will nicht im Dunkeln sitzen und ganz leise und verschämt flüstern, dass Jesus auferstanden ist. Es ist mein Job das laut und fröhlich zu rufen, zu singen, zu feiern. 

Ich will mich gegen das menetekel stellen! Ich will frohe Botschaft mit mut und stolz und gemeinsamer Begeisterung! Ich will kein Gejammer auf Tagungen, ich will kein Gewinsel über zu wenig und zu viel und zu oft. Ich will kein „das war doch schon immer so, das haben wir schon immer so gemacht“ - wenn wir das immer gesagt hätten, dann würden wir alle heute Abend nicht hier sein.

Es liegt in unserer Hand! Es liegt an uns die Schrift an der Wand von Geisterhand abzuwischen, abzustreichen, abzulöschen.
Na klar, alles wird sich verändern. Wir wollen niemanden zwingen, die Zeiten sind zum Glück lange vorbei.

Es liegt in unserer Hand, der Pinsel mit der Farbe, der das menetekel übermalt, der neue Farbe bringt, der altes löscht und neues malt, der liegt in unserer Hand.
Was? In welcher farbe? Egal
Hauptsache bunt, Hauptsache überzeugt, Hauptsache mutig, Hauptsache begeistert, hauptsache ohne Linsen, Hauptsache ohne menetekel und mit neuen Worten, wie von Geisterhand an jeder Kirchenwand:

Die Kirche geht unter, noch sind nicht alle weg.
Wir versammeln uns alle beim Leck am Heck.
Wir werden nicht ertrinken! Wir werden nicht untergehen!
Wenn wir gemeinsam begeistert zum Horizont sehen!


Der Slam als Video:


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