Wir - 502 Jahre danach


Wir. 500 Jahre danach. Was haben wir gefeiert. Wir haben angestoßen. Wir haben die Fahne
hochgehalten. Wir haben uns mal so richtig gut gefühlt. Wir hatten einen Feiertag. Wir haben uns
gefeiert. Endlich mal. Getraut uns zu feiern. Mit Segensroboter. Mit Tanz. Mit Wittenberg. Mit
Yeah. Mit Stolz.
Wir waren stolz. Stolz wie Luther. Oder Calvin.
Wir waren enthusiastisch. Wir hatten volle Kirchen. Diesen einen Tag. Alles voll. Alles proppevoll.
So voll wie bei oh du fröhliche. So voll wie nie. Wir haben „eine feste Burg“ geschmettert. Wir
haben laut gelacht. Wir waren laut. Zusammen. Wir.
Wir. 501 Jahre danach. Wir haben gefeiert. Wir haben es versucht. Wir haben 500 Jahr nochmal
probiert. Wiederholung. Nochmal. Es war so schön. Es war so schön. Es war doch so schön!
Es war so einmalig. Nein, einmalig soll es nicht sein. Eben nicht. Nicht nur einmal. Nicht nur
einmal volle Kirchen. Nicht nur einmal Segensroboter. Nicht nur einmal stolz sein. Wir wollten das
nochmal. Und nochmal und nochmal und nochmal. Und nochmal hatten wir einen Feiertag. Und
nochmal kamen Menschen. Und nochmal haben wir gefeiert. Wir waren weniger. Wir waren immer
noch viele. Wir waren immer noch stolz. Wir waren vielleicht etwas enttäuscht. Wir waren ein paar
Stimmen weniger. Wir waren zusammen weniger. Wir.
Wir 502 Jahre danach. Wir haben einen Feiertag. Wir feiern. Es war doch so schön. Es war doch
so schön. Es war doch so schön. Nochmal! Nochmal! Nochmal bitte! Wir halten die Fahne hoch.
Wir geben uns Mühe. Verdammt nochmal wir geben uns Mühe!
Wir. Wir feiern heute den ganzen Tag. Von Morgens bis Abends. Vom Aufgang der Sonne bis die
Freimarktlichter ausgehen. Wir sind immer noch stolz. Wir trauen uns uns zu feiern. Trau dich.
Zeig dich. Schmetter: ein feste Burg. Sei stolz! Sei Protestant! Zusammen. Wir.
Wir 502 Jahre danach. Mühevoll feiern wir. Wir bröckeln. Wir sind nicht mehr 500 Jahre danach.
Eben nicht mehr. Wir sind zwei Jahre später. Zwei Jahre nach der großen Party. Nochmal Party
und nochmal Party und nochmal: Party!!! Es ist schließlich Feiertag! Das wollten wir doch so! Wir
haben endlich auch wieder einen. Feiertag. Für uns. Wir.
Wir dürfen offiziell uns feiern. Einmal im Jahr. Sodass es alle sehen. Sodass es alle mitbekommen.
Feiern und stolz sein und laut sein und rausgehen und die Fahne hochhalten. Wir. Wir. Wir sind die
Protestanten. Wir haben eine feste Burg und einen Segensroboter. Wir haben ein wir. Hallo hier
sind wir! Wir!
Party auf Kommando. Party auf Knopfdruck. Party auf Bestellung. Klappt doch Weihnachten und
Silvester auch immer. Klappt doch. Wir schon klappen. Wir wollten es so.
Wir 502 Jahre danach.
Wir haben da was vergessen. Wir haben es übersehen. Wir haben das Kleingedruckte nicht
gelesen. Wir kennen doch Weihnachten und Silvester. Wir kennen doch die Partys auf
Knopfdruck. Drück den Knopf. Und nichts passiert. Oder es passiert was, aber es ist nicht das,
was wir wollen. Feiern auf Knopfdruck ist gezwungen. Geht eben nur wenn der Knopf funktioniert.
Was passiert wenn wir den Knopf drücken? Wir 502 Jahre danach. Wir 503 Jahre danach. Wir 504
Jahre danach. 505. 506. 507. 508. 509. 510. 549? 560?
Wer sind wir dann. Wo sind wir dann. Was machen wir dann. Welche Fahne halten wir hoch?
Wir 502 Jahre danach. Wir müssen uns da was überlegen. Wie das mit den Knopf weitergehen
soll. Wenn wir den Knopf drücken. Achtung fertig los. Da ist er der Partyknopf. Der Feierknopf. Er
will gedrückt werden.
Und wir drücken ihn:
Wir 502 Jahre danach. Wir drücken den Knopf. Und haben Recht. Wir feiern. Mit allem Recht.
Rechtlich festgelegter Feiertag. Offizielle genehmigte Party auf Knopfdruck. Wir dürfen feiern mit
und zu Recht. Sogar die Politik hat abgestimmt. Wir haben diesen Tag verdient. Verdient weil.
Weil. Weil. Alle anderen uns genommen wurden. Weil wir auch mal was haben dürfen. Weil wir für
die Bibel auf Deutsch gesorgt haben. Weil wir für Wein und Brot für alle sind. Und vor allem auch
für Saft für alle. Weil wir die Pastoren vom Sockel heben wollten und Pastorinnen danebenstellen.
Unser Verdienst. Wisst ihr das denn nicht?
Wir 502 Jahre danach. Wir drücken den Knopf. Und zweifeln. Verdienen wir das wirklich. Wir. Wir
vor 500 Jahren haben Bauernkriege toleriert und Frauen abgewertet. Wir vor 500 Jahren haben
andere Religionen verhöhnt. Wir wissen das. Wir 502 Jahre danach feiern Party und trinken
Cocktails mit bitterem Nachgeschmack. Einmal Reformation, gerührt und nicht geschüttelt bitte.
Wir 502 Jahre danach. Wir drücken auf den Knopf. Und keiner kommt. Die Kirche bleibt leer. Die
feste Burg wankt bedrohlich. Kleinste Party des Jahres. Zehn Menschen zusammen. Wir. Aber ist
das noch Party? Ein paar wenige versuchen zu feiern. Doch die Stimmung bleibt aus. Kein
Vergleich zu 500 Jahre danach. Wir werden immer weniger jeden Tag ein Stück. Wir werden
immer weniger das ist ein Unglück. Und wir sind unglücklich. Und suchen nach Antworten.
Unglücklich probieren wir alles aus. Unglücklich malen wir uns das unglücklich sein schön. Und
bleiben wenige und schauen unglücklich nach vorn. Wir 502 Jahre danach. Wir müssen etwas
verändern. Wir tappen im Dunkeln. Wir wollen enthusiastisch sein. Wir überzeugen nicht. Wir
feiern eine Party und keiner will auf die Gästeliste.
Wir 502 Jahre danach. Wir drücken auf den Knopf. Wir geben uns so viel Mühe. Jede Kirche feiert
Gottesdienst und dann noch Singen und Lichtinstallation und Freimarktsgottesdienst und Konzert
und Slam und und und, für wen machen wir das? Wem wollen wir etwas beweisen? Wir 502 Jahre
danach machen ein Event. Wäre Luther stolz auf uns? Wir wissen es nicht. Und wissen nicht ob
das eigentlich wichtig ist. Wissen wir was wichtig ist?
Wir 502 Jahre danach. Wir drücken auf den Knopf. Wir habe eine Party. Mit Korken knallen und
tanzen und Yeah Yeah Yeah. Denn: wir sind wir.
Wir sind 502 Jahre danach und wir sind immer noch da. Wenn das kein Grund für Party ist! Wir
heben unser Glas mit dem bitterem Beigeschmack. Der gehört dazu. Den mixen wir nicht raus.
Wir 502 Jahre danach diskutieren. Auf der Party. Über bröckelnde Burgen. Leisere Stimmen. Alte
überkommene Meinungen. Was schief gelaufen ist. Was gut gelaufen ist. Was wir wollen. Was wir
nicht wollen. Was wir mit dem Segensroboter machen wollen. Was wir nicht erzwingen wollen.
Was wir 550 Jahre danach machen wollen.
Wir feiern unsere Party. Auf Knopfdruck. Besser so, als wenn wir sie nicht feiern.
Die Party ist in vollem Gange.
Die einen tanzen, die anderen diskutieren auf dem Sofa. Die da hinten streiten sich und die da im
Flur liegen sich in den Armen.
Die besten Partys sind die, wo am Ende alle in der Küche stehen. Essen. Das Glas heben.
Auf Gestern und heute und morgen.
Prost!
Auf uns.
Wir 502 Jahre danach.

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