Alle Jahre wieder


Alle Jahre wieder.
Jetzt ist es wieder soweit. Ab heute kann sich ihm niemand mehr entziehen. Jetzt ist er da.
Es gibt kein zurück. Ab jetzt 24 Tage lang.
Viele konnten ihm kaum erwarten, viele wollen sich lieber unter der Bettdecke verkriechen.

Es ist Advent. Heute der erste. Der erste von vieren. Wir kennen das alte Spiel. Alle Jahre wieder stellen wir hier den wunderschönen großen Baum auf. Wir hängen den Adventskranz auf. Singen „Macht hoch die Tür“. Auf einmal ist alles voller Kerzen und warm und so viel schöner als im grauen November.
Die Stadt ist spätestens jetzt erfüllt von „Last Christmas“ und dem Duft nach gebrannten Mandeln und jeder Menge Glühwein. Die Menschen haben lustige Mützen auf und suchen zuhause nach den hässlichsten Gegenständen, um damit jemanden beim Schrottwichteln zu beschenken.
Alle Jahre wieder.

Und jetzt könnte hier eine Klage über die ach so furchtbar hektische Weihnachtszeit kommen. Über die Konsumsucht, das Gedränge in den überhitzten Geschäften. Die Klage, dass niemand sich vermeintlich niemand mehr daran hält erst nach dem Ewigkeitssonntag zu schmücken und Kekse zu backen. Dass die Menschen sich mit Glühwein betrinken und das Besinnliche verloren geht. Dass es doch nur um Geschenke geht und die Menschen dann auch nur Weihnachten in die Kirche kommen und sich nicht benehmen können.
Dieses ewige Kirchlich-protestantische-Meckern.
Alle Jahre wieder!
Ich kann es nicht mehr hören!

Von mir werden Sie diese Klage heute nicht hören!

Ich sage nicht, dass es nichts zu klagen gäbe. Dass auch ich mich aufrege, wenn ich zwei Wochen vor dem 1.Advent schon überall Tannenzweige und Lichterketten sehe.
Mich ärgert das auch alle Jahre wieder. Den kleinen protestantisch erhobenen Zeigefinger habe auch ich. Er ist hoch erhoben, will gerade zu einer meckernden Predigt ansetzen.
Und hört dann das:

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der ewig Leuchtende einziehen kann!

Mein Zeigefinger senkt sich. Das meckern bleibt mir im Halse stecken. Ich kann nicht weitermeckern. Ich muss die Türen aufmachen! Ich darf die Türen aufmachen!
Ich will die Türen aufmachen!
Ja ganz im Ernst. Vielleicht nicht meine Wohnungstür. Aber so viele andere Türen. Die Tür zu meinem Arbeitszimmer, damit ich diese Predigt schreiben kann. Die Kirchentür, damit Sie alle heute hierherkommen können. Die Türen zum Gemeindehaus zum Basar.
Die Tür zu meinem protestantisch-frohe-Botschafterin sein.

Es ist jetzt keine Zeit zum Meckern. Die Zeit hatten wir. Jetzt ist eine andere Zeit.
Eine besondere Zeit. Das finde nicht nur ich, das schrieb Paulus den Menschen in Rom damals knappe 60 Jahre nachdem Jesus gestorben und auferstanden war:

Und das alles in der Gewissheit um die besondere Zeit.
Denn die Stunde ist schon da, aus dem Schlaf aufzuwachen.
Denn jetzt! ist die Überwindung der Gewalten näher als zu der Zeit, als wir zu glauben begannen. Die Nacht kommt an ihr Ende, der Tag naht.
Lasst uns nun die Machenschaften der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anlegen.

Aufwachen! Schluss mit Schlafen! Jetzt! Die Zeit ist Besonders!
Das Meckern ist vorbei! Die Machenschaften der Finsternis haben ein Ende. Schluss damit! Ende!

Ja, zugegeben. Paulus war damals nicht in einer adventlich geschmückten Stadt, als er das geschrieben hat. Er hatte keinen Dauerohrwurm von „Last Christmas“ und einen Becher Glühwein neben sich stehen. Wobei Wein vielleicht… Au jeden Fall kam der Advent, wie wir ihn kennen, ja erst viel, viel später.
Paulus hatte das Gefühl, dass bald eine ganz andere Zeit anbricht. Das Ende der Welt wie wir sie kennen. Sein ersehnter Tag war der letzte Tag der Erde. Und nicht Weihnachten.
Sein ersehntes Licht war das Licht Gottes in der neuen Zeit. Und nicht die erleuchteten Tannenbäume am heiligen Abend. Die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie heute jedes Jahr hören, die war damals noch nicht mal so existent.
Paulus hat mit dem Ende der Welt von Gott gemacht gerechnet. Darüber hat er geschrieben.

Wir heute, rechnen wohl eher nicht mit dem Ende der Welt. Ja mit der Klimakatastrophe, mit dem Menschen gemachten Ende der Welt. Aber nicht mit der Apokalypse von Gott her.

Wir rechnen in diesen Wochen mit Weihnachten. Wir rechnen mit vier Adventssonntagen.
Wir rechnen mit der Geschichte über Jesu Geburt am Heiligabend.

Wir rechnen mit einer besonderen Zeit.
Und ich finde auf einmal ist das mit der besonderen Zeit von Paulus und unserer besonderen Zeit gar nicht mehr so ein Unterschied:

Denn jetzt! ist die Überwindung der Gewalten näher als zu der Zeit, als wir zu glauben begannen. Die Nacht kommt an ihr Ende, der Tag naht.
Lasst uns nun die Machenschaften der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anlegen.

Lasst uns jetzt das Meckern ablegen. Lasst uns jetzt auf das Licht schauen. Sei es auch noch so klein. Wenn nicht jetzt, wann dann!
In diesen vier Wochen haben wir die Chance dazu. In diesen vier Wochen des Wartens.

Alle Jahre wieder warten wir. Wir warten auf das Ankommen.
Wir warten auf den Schimmer, der sich mitten in die dunkle Jahreszeit bohrt.
Das Jahr geht auf das Ende zu. Wir waren mittendrin im Nieselregen.
Und jetzt sind wir mittendrin im Schimmer.
Wir warten auf eine andere Zeit. Wir warten alle Jahre wieder.
Diese vier Wochen sind nicht so wie die anderen Wochen des Jahres.
Diese Zeit ist besonders.
So wie Paulus Zeit damals für ihn besonders war.

Denn ob damals oder heute, warten wir nicht auf dasselbe?
Auf den Schimmer des Lichts.
Auf die Überwindung der Gewalten.
Auf die Waffe des Lichts, die Nächstenliebe.
Auf die Ankunft des Tags.
Auf die Ankunft.

Ja und wenn Sie jetzt dachten das klingt schon so gut nach dem Ende der Predigt. Da hat sie so schön Paulus und uns verbunden und von Licht und Schimmer und Warten und Ankunft gesprochen. Tja.
Eigentlich kommt jetzt erst der Knackpunkt. Jetzt kommt die Frage aller Fragen.

Auf wen warten wir denn?
Wer kommt an?
Wem machen wir die Türen auf?
Wer ist er?

Ein König. Ein ewig Leuchtender. Ein Helfer. Ein Gerechter. Ein Lebendiger.  

Mögliche Antworten. Umschreibende Antworten. So wirklich klar sind sie nicht.

Da ist die Antwort in der Geschichte aus dem Matthäus Evangelium klarer. Wer ist er?
Er ist Jesus, der Prophet, aus Nazaret in Galiläa.

Klipp und klar. Er ist Jesus. Und ist er nicht ein König? Ewig leuchtend? Helfer? Gerecht? Lebendig? Jesus ist also der, auf den wir warten? Dem wir die Türen weit aufmachen sollen?

Und jetzt könnte ich viel über Gott, der Mensch wird reden. Ein kleines Kind wird geboren, die Hoffnung der Welt. Das hören wir all die Jahre immer wieder. Und ich sage nicht, dass das nicht eine wunderbare Idee ist. Der Versuch das, was da am Heiligenabend auf uns zukommt in Worte zu fassen. Das kleine Kind in dem Gott Mensch wird.

Ich sage: Die nächsten vier Wochen sind genau dafür da. Sich die Fragen zu stellen.

Ich habe heute keine Antwort.
Diese Fragen. Wer kommt da? Ist Jesus ein König? Was sind unsere Waffen des Lichts?
Was passiert, wenn die Nacht vorbei ist?
Diese Fragen sind das besondere dieser Zeit. Der nächsten vier Wochen. Es ist unsere Aufgabe (Da ist er jetzt wieder der protestantische Zeigefinger) Uns das zu fragen.

Wer ist er? Auf den wir warten. Der die Nacht beendet und den Tag anbrechen lässt.

Die Texte der Bibel, des Buchs der Liebe und der Hoffnung, von heute und an den nächsten Sonntagen sind Hinweise. Sind Anregungen. Sind Spuren.
Die wir hören oder lesen oder singen.
Die wir beim Kekse backen dabei haben. Die wir im überhitzten Geschäft dabei haben. Die wir beim Geschenke verpacken dabei haben. Die wir beim Anstoßen mit Glühwein dabei haben.

Wer ist er?
Auf wen oder was warten wir?

Wir werden alle verschiedene Antworten finden. Oder weiter fragen.
Und dann am 24. Dezember kommen wir zusammen.
Mit all den verschiedenen Antworten in uns.

Und dann hören wir die Geschichte, die uns alle Jahre wieder eine Antwort geben möchte.
Denn eins ist sicher. Auf wen oder was wir warten. Wie wir es jeweils versuchen in Worte zu fassen. Wie wir es im Herzen beantworten.

Er wird es werden. Er war es. Und er wird es sein.

Alle Jahre wieder.

Amen. 

Gehalten am 1.12.2019

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