Bleibt bei mir!


Wie oft muss er das eigentlich sagen? Hätte einmal nicht gereicht? Nein, drei Mal. Drei Mal erzählt Jesus was ihm passieren wird. Drei Mal legt er seine dunkle Vorahnung dar. Drei Mal die Rede von Verrat, von Auspeitschen, von Verspottet und angespuckt werden. Eklig! Was soll das? Und das ist es ja noch nicht mal. Drei Mal sagt Jesus: Ich werde sterben! Ich werde umgebracht werden! Hingerichtet.

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und alles, was in den prophetischen Schriften geschrieben steht über den kommenden Menschen, wird sich erfüllen!
Er wird nämlich den Völkern ausgeliefert werden, ja, verspottet, misshandelt und angespien. Und die ihn auspeitschen, werden ihn auch töten, und am dritten Tage wird er auferstehen.

Wieso? Wieso muss er uns das so unter die Nase reiben?
Das ist nicht schön. Das ist eine grausame Vorstellung. Das sind so Szenen, bei denen ich immer die Augen zumache. Ich will keine Gewalt sehen. Ich kann das nicht. Als Kind habe ich mich immer hinter dem Sessel versteckt bei solchen Szenen im Fernsehen. Heute halte ich mir immer noch die Augen zu. Erst recht wenn der Mensch, der geschlagen und misshandelt wird so toll ist. Wenn ich ihn so gerne mag.
Ich schließe immer die Augen und frage die anderen wann ich wieder gucken kann.

Wann kann ich wieder gucken Jesus?
Ich möchte da jetzt lieber nicht hinsehen, sag mir einfach wenn es vorbei ist.

Einfach die Augen verschließen ist eine Taktik. Oder man sagt einfach: Also Jesus, was du da gerade erzählst, das verstehe ich nicht. Das ergibt einfach keinen Sinn. Du bist doch der Wundermann, der uns immer von der Zukunft erzählt. Und dass wir an dieser Zukunft bauen sollen. Was soll denn diese dunkle Vorahnung? Das stimmt doch alles nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen. Und wenn ich das nicht kann, dann ist es bestimmt auch nicht wahr. Vorahnungen müssen ja nicht wahr werden.
Wer kann schon in die Zukunft sehen?
Einfach nicht verstehen wollen. Ist auch irgendwie wie Augen schließen.
Und das ist die Taktik derer, die Jesus folgen. Die mit ihm auf dem Weg nach Jerusalem sind. Eigentlich um dort ein Fest zu feiern, vor allem auch um Jesus zu feiern.
Warum denn jetzt negativ werden, wenn doch gerade alles so gut läuft?
Die Freunde und Freundinnen von Jesus sagen einfach lieber nichts. Als hätten sie nichts gehört. Wie die drei Affen, die sich jeweils Augen, Ohren und den zuhalten.
Wann können wir wieder gucken Jesus?

Es sind zitternde Affen. Denn natürlich haben sie das gehört, diese Vorankündigung von Leid und Grausamkeiten. Aber es passt einfach nicht. Es passt nicht zu dem was sie wollen. Sie wollen ihren lebendigen Jesus. Der große Reden hält und alle begeistert. Der Menschen heilt und ihr Leben neu hat.
Sie wissen jetzt endlich was sie machen sollten und was sie machen können. Ihr Leben hat einen Sinn durch ihn bekommen. Und dieser Sinn soll auf einmal gehen? Sinnlos werden? Wenn er stirbt geht der Sinn. Und Sinnlosigkeit macht Angst. Dann sind sie verloren, die doch gerade erst gefunden wurden. Nein, das macht keinen Sinn. Aber das Jesus zu sagen ist auch keine Option. Sie haben erlebt wie böse er werden kann, wenn man ihn nicht versteht. Wie hochmütig er dann klingt, wie naseweis. Also sagen sie lieber nichts. Die Affen sie zittern und schauen weg. Schweigen und halten sich die Ohren zu.

Wir wollen das nicht sehen Jesus, sag uns Bescheid wenn es vorbei ist.

Wichtige Theologen haben sich viel mit diesen Affen beschäftigt. Mit den nicht-verstehenden Jüngern. Sie nennen es das Jüngerunverständnis. Und finden es ist eines der wichtigsten Teile des Evangelium nach Markus. Nicht nur weil es ganze drei Mal kommt, sondern vor allem weil sie finden es zeigt, dass die Jünger nicht verstehen worum es geht. Und damit uns, die wir das lesen ein schlechtes Vorbild sind. Die Jünger wollen nur den lebenden Jesus, den glorreich leuchtenden. Der, der herumspaziert und die Welt verändert. Sie wollen kein Leid, keine Kreuzigung. Doch die Theologen betonen, das Leid gehört unbedingt zu Jesus dazu.
Jesus muss gekreuzigt werden.
Nur der leidende Jesus ist auch der auferstandene Jesus.

Ihr habt Recht, liebe Theologen denke ich mir. Ich stimme euch ja zu, ohne Kreuz keine Auferstehung. Klar.
Aber eben nicht einfach.

Denn die Auferstehung ist noch so weit weg. Eine kleine Randbemerkung nur am Ende der grausamen Vorankündigung von Jesus. Und was soll das sein Auferstehung? Das sagst du doch jetzt nur Jesus um uns zu beruhigen.

Die Hinrichtung ist unvorstellbar. Die Auferstehung ist unvorstellbarer.

Mir tun die Jünger Leid. Die, die ihr Leben an Jesus ausrichten. Es wird ihnen Unverständnis vorgeworfen! Das klingt so nach: Ihr versteht es einfach nicht, dabei müsstet ihr. Es klingt ein bisschen nach: Ihr seid dumm.
Und ich denke das stimmt nicht.
Ich glaube die Jünger verstehen sehr wohl. Ich glaube es ist ein Jünger-nicht-wahrhaben-wollen. Total verständlich. Nachvollziehbar und menschlich. Dass Jesus provoziert das bekommen sie ja mit. Dass er sich gegen herrschende Mächte stellt. Dass da nicht alle mit glücklich sind, das werden sie auch ahnen. Und jetzt mitten nach Jerusalem zu gehen, wo die Macht sitzt. Das wird bei ihnen schon auch ein mulmiges Gefühl hervorrufen. Kann ich mir jedenfalls vorstellen. Dass die Gefahr besteht, dass Jesus verhaftet wird ist ihnen klar. Aber sie verschließen eben genau davor die Augen. Wenn wir nicht drüber reden, dann passiert es bestimmt auch nicht.
Augen zu und durch.

Ich kann ihnen das nicht vorwerfen. Ich bin genau wie sie.
Ich bin unverständig wenn wir es so nennen wollen. Ich sehe lieber das Gute als das Schöne. Ich will keine Peitschen und keine Nägel im Körper. Ich will die Augen schließen und wenn ich sie wieder aufmache ist alles wieder gut.

Ich will das nicht sehen Jesus, sag Bescheid wenn es vorbei ist!

Und bei alldem vergessen wir einen. Die Jünger, die Theologen und ich.
Wir vergessen ihn. Die Hauptperson, um die es geht. Wir vergessen Jesus.
Den Menschen. Der offen darüber spricht, dass er ausgepeitscht werden wird.
Dass sie ihn verraten werden. Dass er sterben muss.
Gerade im Evangelium nach Markus wird die Menschlichkeit Jesus so betont. Gerade hier ist es wichtig zu erkennen, dass hier ein Mensch steht. Der alles tut, was er tun kann. Und der sein Ende sieht und weitergeht. Weitermacht. Der direkt davor steht vor den Schmerzen und der Angst. Und direkt hineingeht.
Offen bekennt er das. Er schüttet sein Herz aus und sagt: Ich werde sterben.

Und die, die das hören schweigen.
Jesus sagt: Ich werde sterben. Und niemand antwortet ihm. Keiner nimmt ihn in den Arm. Keine sagt: Wenn das wirklich so kommt, dann stehen wir das zusammen durch. Du bist nicht allein!
Wie furchtbar muss sich das anfühlen. Wenn die anderen die Augen zu machen, wenn es dir schlecht geht. Wenn ihre Welt wichtiger ist als deine. Ihr Leben wichtiger ist.
Jesus verlangt nichts. Er sagt nicht: Ihr müsst jetzt kämpfen und das verhindern.
Er sagt nicht: Versteckt mich. Oder so.
Jesus weiß, dass es so kommen wird, wie es kommen muss. Das heißt aber noch lange nicht, dass er das einfach so hinnimmt. Er ist ein Mensch. Er will nicht alleine sein.

In all den Leidensankündigungen. In dem offenen Aussprechen was passieren wird.
Steht immer dahinter:

Bleib bei mir!
Bleibt bei mir!

Lasst mich nicht allein. Redet mit mir. Geht mit mir. Ich brauche euch.

Und ja, das verstehen die Jünger nicht. Wirklich nicht. Am Ende werden sie ihn alleine lassen. Schlafen während Jesus alleine weint und zittert. Die Affen werden schlafen und nichts mitbekommen. Und Jesus wird alleine weitergehen. Verlassen. Weil sie lieber die Augen schließen vor Angst. Angst um ihr Leben.
Dabei geht es doch um seins. Sein Leben.

Bleib bei mir!

Das hören die Affen nicht.

Ich, die ich das lese. Ich höre das Flehen von Jesus. Ich verstehe ihn. Wenn alles dunkel ist. Wenn nichts mehr zu machen ist, dann brauche ich keine guten Ratschläge. Keine Vorschläge was man tun könnte. Und vor allem kein Schweigen. Darüber hinwegsehen.

Dableiben. Mit aushalten. Mitweinen.
Das ist es.
Das ist es was Jesus braucht.
Was jeder Mensch braucht, wenn es keinen Ausweg gibt.
Keinen Ausweg aus dem Weg mitten hinein in den Schmerz.
In die Nacht.
In den Tod.

Bleibt bei mir!

Bei allem Verständnis für das Unverständnis. Für die Angst vor dem was kommt.
Das nicht-wahr-haben-wollen.
Das hinterm-Sessel-verstecken. Nicht verstehen wollen.

Das geht die nächsten Woche nicht mehr.
Wir müssen aushalten.
Dableiben.
Mitweinen.
Mit offenen Augen in die Nacht gehen.
Mit Jesus den Weg nach Jerusalem.
Den Weg in seinen grausamen Tod.

Und es bleibt uns und Jesus nur das Eine.
Den zu bitten, der bleibt, komme was da wolle.
Der Ich-werde-da-sein.

Halt mir dein Kreuz vor, wenn mein Auge bricht.
Im Todesdunkel, bleibe du mein Licht.
Es tagt, die Schatten fliehn ich geh zu dir.
Im Leben und im Tod,
Gott, bleib du bei mir!

Amen. 



Gehalten am 23. Februar 2020
Inspiriert von Lukas 18,31-43

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