Postkarten von Patmos


Schreib nun was du gesehen hast und was danach geschehen wird.
Ich, Johannes, euer Bruder, bin auf der Insel Patmos. Patmos.
Eine wunderschöne Insel. Mitten in der Ägäis.
Nebenan nur eine noch kleinere Insel mit dem niedlichen Namen Lipsi.
Rund um Patmos: Tiefblaues Meer, glitzernd und funkelnd.
Die Ost-Ägäis.
Auf der Insel nur um die 3000 Einwohner.
Über der ganzen Insel liegt der Geruch von Zedern in der sommerlichen Sonne.
Ich atme tief ein.
Heiß ist es hier auf Patmos mitten im Sommer.
Die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel, erbarmungslos von morgens bis abends.
So suche ich in der Mittagshitze unter einer Zeder Schutz vor den heißen Strahlen. Sitze auf einem gewebten Stuhl an einem kleinen Tisch und trinke meinen starken und gut gewürzten griechischen Kaffee.
Von diesem Platz aus kann ich endlos hinaus auf das blaue Meer sehen. Ich schaue auf das Meer,
sehe die Sonne auf dem Meer funkeln. Wie kleine Diamanten auf den Wellen funkeln die Lichter.
Für einen Moment schließe ich die Augen.
Ich, Johannes, euer Bruder auf Patmos.
An einem heißen Sonntag auf Patmos.
Da erklingt eine Stimme.
Hinter mir höre ich eine sanfte Stimme:
An einem heißen Sonntag erwacht die Welt
Schläfrig schwankt der Traum
Und eine Musik von damals hallt wider
Sie nimmt dich mit auf eine Reise
Und was du siehst, schreib in ein Buch und schicke es den sieben.
Ich drehe mich um, die Stimme zu sehen, die mit mir gesprochen hat.
Und da verlasse ich die Erde.

Verlasse meinen Platz und die Lichter und das Meer.
Ich weiß nicht wohin ich gehe und vergesse alles, was ich bisher meinte zu wissen und zu fühlen.
Es ist hell.
Ich schaue in den Himmel, sehe offene Läden und bunte Zelte, mit den Zwölfen trinke ich zusammen.
Ich sehe sieben goldene Leuchter und eine Erscheinung, die ich kaum beschreiben kann. Denn in menschlichen Worten widerzugeben wie überirdisch diese Gestalt war ist nicht möglich. Wenn ich es tun würde, dann würde es wie eine Gestalt aus einem verrückten Film klingen.
Und ihr würdet mir wahrscheinlich nicht mehr glauben.
Es geht auch nicht darum wie die Gestalt aussah, wie er aussah, sondern was dann geschah.

Als ich ihn ehe, falle ich wie tot zu Boden.
Ich sehe Sterne auf die Erde fallen, Himmelblaue Regenschirme und goldenen Regen. Mitten im Herz des Himmels.
So liege ich da und alles um mich herum leuchtet.
Da legt er, der leuchtet und strahlt, seine Hand auf meine Schulter. Die Hand ist warm und in mir wird alles weich und angenehm. Ich fühle mich geborgen, so wie ich es noch nie zuvor getan habe.
Und dann spricht er in mein Ohr, ganz dicht, ganz nah, tief in mich:
„Fürchte dich nicht!
 Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebende. Ich war tot, und da! Ich bin lebendig bis in alle Ewigkeiten. Ich habe die Schlüssel des Todes und des Totenreiches. Schreib nun was du gesehen hast und was danach geschehen wird.“
Und so kehre ich zurück.
Das Leuchten verschwindet. Er verschwindet.
Die bunten Zelte, die offenen Läden und die herabfallenden Sterne verschwinden.
Ich sitze wieder auf meinem Stuhl mit der schönen Aussicht.
Der Kaffee noch immer halbgetrunken in meiner Tasse.
Die Sonne noch immer heiß und erbarmungslos.
An einem heißen Sonntag auf Patmos.
Und doch ist es anders als vorher.
Ich habe den Auftrag gehört, den er mir gegeben hat:
Was du siehst, schreib in ein Buch und schicke den sieben. Schreib nun was du gesehen hast und was danach geschehen wird.
Also verlasse ich meinen Platz und meinen Kaffee.
Ich gehe in den kleinen Ort und suche den erstbesten Souvenirladen. Bunte Gummitiere und Luftmatratzen hängen im Eingang und kleine Flaschen Olivenöl und Ouzo stehen auf Holzregalen. Und auch das, wonach ich gesucht habe, finde ich.
Ein Ständer mit vielen bunten Postkarten. Einige schon ausgeblichen von der Sonne, andere noch neu und leuchtend.
Ich suche mir die sieben schönsten aus.
Bezahle an der Kasse und gehe wieder zurück.
An meinem kleinen Tisch und Stuhl.
Bestelle einen neuen Kaffee und fange an zu schreiben:

Erste Postkarte
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos, Griechenland.
Hallo liebe Familie,
Es tut mir Leid, dass die Postkarte schon so ausgeblichen ist. Aber ich mochte ihren alten Retro-Charme. Und den Tisch am Meer kann man ja noch ganz gut erkennen!
Patmos ist wunderschön! Nur ist mir heute etwas ganz merkwürdiges passiert. Vielleicht war es nur ein Hitzschlag, aber ich glaube ich hatte eine Vision... Mir ist Gott erschienen. Und es war wunderschön.
Ihr lacht jetzt bestimmt. Lacht ruhig! Lachen ist gesund. Und ich mache ja gerne Scherze mit euch.
Aber lasst euch eins sagen: Ich vermisse euch! Und sage euch:
Fürchtet euch nicht! Ich sonne mich jetzt weiter und sende euch die besten Grüße, lacht schön weiter!
Johannes.
PS: Und alles Weitere erzähle ich euch dann demnächst zuhause. 

Zweite Postkarte
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos, Griechenland.
Mein geliebter Freund,
Ich weiß es ist grausam dir so viel Sonne, so ein paradiesisches Bild von Strand und blauem Meer in das kalte Deutschland zu schicken.
Aber es ist wirklich das Paradies hier! Ich freue mich jeden Morgen neu über die Sonne und das Meer.
Da ist gar keine Kälte mehr in mir und ich freue mich über mein Leben und die Welt. So verrückt es klingt: Ich bin dankbar und lobe Gott jeden Tag!
Auch dafür, dass ich so gute Freunde habe wie dich. Und darum sende ich dir ganz viel Sonne in dein Herz und sage dir: Fürchte dich nicht!
Alles Liebe,
Johannes.

Dritte Postkarte
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos, Griechenland.

Hallo liebe Nachbarin,
Da ich weiß wie sehr Sie Ihre Heimat vermissen schicke ich ihnen hier einen kleinen patriotischen Gruß.
Ihr Heimatland ist wirklich wunderschön, vielen Dank für diese wunderbare Reiseempfehlung. Ich denke oft an Sie und Ihre Familie, die es auch so schwer hat im krisengeplagten Athen. Kaum zu glauben, dass die Menschen in diesem Land so leiden müssen. Ich schäme mich hier jeden Tag meinen Kaffee zu trinken und zu wissen, dass der Cafebesitzer keine Krankenversicherung hat und wohl nie genug Rente zum Leben haben wird. Ich sehe die geflüchteten Menschen auf der Straße, die keinen Platz haben und nicht wissen wo sie hin sollen.
Ihnen allen will ich eine Botschaft bringen, auch wenn sie vielleicht naiv klingt: Fürchtet euch nicht!
Mit den besten Grüßen,
Ihr Johannes.

Vierte Postkarte
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos, Griechenland.

Hallo lieber Pastor Müller,
Wissen Sie noch wer ich bin? Ich bin es Johannes, den Sie vor langer Zeit einmal konfirmiert haben. Ich war immer der, der lieber Papierkügelchen auf andere geworfen hat, als zuzuhören. Heute weiß ich, dass so vieles doch interessant gewesen wäre, was sie uns erzählt haben. Wie wichtig und wunderschön. Denn heute habe ich erfahren wie unbeschreiblich Gott ist und wie wunderbar es ist ihn in meinem Leben zu haben.
Danke, dass Sie uns damals gesagt haben: Fürchtet euch nicht!
Das kann ich Ihnen heute nur zurückgeben,
Ihr Johannes.
PS: Bei dem Bild von Hieronymus Bosch auf der Postkarte musste ich sofort an Sie denken. Verrückt, dass ich Johannes jetzt auch auf Patmos sitze, wie der aus der Bibel mit den verrückten Visionen, die ich als Konfirmand so albern fand.

Fünfte Postkarte
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos,
Griechenland.

Guten Tag liebes Büro,
Hier die obligatorische Urlaubskarte. Patmos ist wirklich eine schöne Insel, Sonne, Strand und Meer. Ruhe und keine Hektik. Alles was sonst jeden Tag im Büro auf mich wartet.
Wisst ihr was? Wir sollten unser Büro auch mehr wie eine schöne Insel betrachten. Und Spaß haben, an dem was wir tun. Uns nicht mehr vor Krisen fürchten. Nicht mehr jeden Tag fürchten vor Chefs und unseren Schwächen.
Fürchtet euch nicht! Ich freue mich schon auf euch, wirklich!
Euer Johannes.


Sechste Postkarte
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos,
Griechenland.

Meine liebe Tochter,
Hier meldet sich dein Vater aus dem Urlaub. Wie geht es dir in der großen neuen Stadt? Hast du dich gut eingelebt?
Ich wünsche mir so, dass es dir gut geht und dass du ganz neu anfangen kannst. Sei froh und freu dich über jede neue Chance die dir geschenkt wird.
Ich denke jeden Tag an dich und will dir sagen, dass ich dich sehr lieb hab und glaube, dass du alles schaffen kannst.
Und weiter sage ich dir: Fürchte dich nicht! Du bist nicht allein! Du wirst geliebt,
unter anderem von mir,
dein Papa.
PS: Und Mama hat mir glaub ich gerade von irgendwo da oben  zugezwinkert.

Siebte Postkarte,
Abgestempelt an einem heißen Sonntag auf Patmos, Griechenland.

Hallo,
Ich weiß eigentlich nicht was ich schreiben soll.
Eigentlich bin ich noch immer sprachlos.
Alles in mir ist erfüllt von großer Dankbarkeit.
Als wäre dein Licht in mich geflossen und hätte sich wie ein warmer Teppich in all meinen Knochen und Venen ausgebreitet. Ich habe das Gefühl ich leuchte und will allen Menschen sagen wie wunderbar du bist.
Wunderbar. Unbegreiflich. Anfang und Ende. Leuchtend. Du.
Dass du bist, dass du zu mir gesprochen hast.
Dass du mir diese wunderschöne Zusage gemacht hast.
Das Versprechen gegeben, dass du immer und ewig da bist. Dass ich mich nicht fürchten muss.
Heute auf Patmos und morgen und in alle Ewigkeit.

Danke. Ich, Johannes danke dir und verspreche es allen weiterzusagen. Jedem und jeder deine Liebe zuzusprechen.
Zu leuchten und dein Licht weiterzugeben.
Du bist Anfang und Ende.
Du bist mein Gott.
Du, der du sagst: Fürchte dich nicht!
Amen.

 Gehalten am 2.2.2020
Über Offenbarung 1,9-18

Kommentare

Beliebte Posts