Ein Herz und eine Seele

Sie hatten einen Traum.

Nicht so einen, der am nächsten Morgen nur noch eine schwache Erinnerung ist. Nicht so einen, bei dem man sich die Augen reibt und sich fragt, ob das jetzt wirklich passiert ist.

Sie hatten einen Traum und wollten ihn leben.

Sie, die sie damals vor vielen, vielen Jahren in Jerusalem waren. Die Jesus gekannt haben und miterleben mussten, wie er gekreuzigt wurde. Die vom Wunder der Auferstehung zuerst erfahren haben. Und vor allem die, die den Auftrag bekamen von nun an allen Menschen diese Erlebnisse zu schildern. Zu berichten woran sie glauben und warum. Und was das für Folgen hat. Für das eigene Leben, für andere, vielleicht für die Welt - wenn sie richtig groß geträumt haben…

Wir nennen diese Menschen heute liebevoll die „Urgemeinde“. Über sie, die Apostel und ersten Gläubigen sind uns viele Berichte und Geschichten in der Apostelgeschichte überliefert. Ein langes biblisches Buch voller Wunder, Reiseberichte und Erzählungen über eben die Urgemeinden. Wie sie sich gefunden haben an Pfingsten. Und wie sie begannen zusammen etwas Neues zu leben:

Eine Gemeinschaft voller Träume und Pläne.

Im 4. Kapitel der Apostelgeschichte wird berichtet:

 

Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung Jesu, und große Gnade war bei ihnen allen.

Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

 

Was für ein schöner Traum! Oder? Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Keine Diskussionen, kein Streit. Sondern alle sind ein Herz und eine Seele! Und dann teilen sie auch noch alle. Es gibt kein Arm und kein Reich. Es gibt keinen, der geizig auf seinem Geld sitzt. Alle legen zusammen. Jeder bekommt, das, was er braucht. Spenden sind selbstverständlich, damit die Apostel die neue Gemeinschaft leiten und aufbauen können. Ein wahrgewordener Traum ist diese Urgemeinde!

Zu schön, um wahr zu sein.

 

Alle waren ein Herz und eine Seele. Wo gibt es das schon?

Und ja, ich bin ehrlich mit euch. Das war ja nur der Anfang der Urgemeinde. Man könnte sagen: Am Anfang war der Traum. Und dann kam die Realität: Die Sehnsucht nach Macht, die unterschiedlichen Vorstellungen vom Aufbau der Gemeinschaft. Kurz gesagt, die Konflikte haben nicht lange auf sich warten lassen.

Doch egal wie sehr sich Petrus und Paulus später gestritten haben, wie sehr in den Gemeinden um Essensbräuche und alte Traditionen gezankt wurde.

 

Es blieb der Traum der Urgemeinde.

Der Traum vom: „ein Herz und eine Seele sein.“

 

Ich hatte einen Traum und ich habe ihn im Fernsehen gesehen.

Letzten Sonntag hatte ich frei. Ich war einfach mal zuhause und habe die Zeit genossen. Und als mein Sohn seinen Mittagsschlaf gemacht hab, hab ich mich aufs Sofa gelegt und den Fernseher angemacht. Einfach mal abschalten, mich berieseln lassen, eine gute Stunde lang.

Auf den Hinweis einer Kollegin habe ich mir eine Folge Queer Eye angesehen. Das ist eine Serie, bei der fünf Männer in Amerika einer Person helfen. Die sozusagen einmal alles auf Vordermann bringen: die Wohnung, die Klamotten, die Frisur, das Essen. Die fünf Männer sind alle sehr extravagant. Sie sind schwul, sie sind bunt. Sie sind laut und lustig und vor allem: Sie sind immer ein Herz und eine Seele. Ihr Auftrag ist es das Leben eines Menschen besser zu machen. Und das tun sie mit vollem Herzen. Egal zu wem sie kommen. Sie waren schon bei Soldaten, bei Hausfrauen und jetzt waren sie bei einem Pastor.

Seine Gemeinde hatte die fünf angerufen. Denn sie lieben ihren Pastor und wünschen ihm, dass er mehr aus sich rauskommt. Dass er begreift wie wunderbar er ist und wie sehr die Gemeinde ihn liebt und unterstützt.

Und da war er wieder. Der Traum der Urgemeinde.

Der Traum von: „ein Herz und eine Seele sein.“

In jeder Szene ist er mir förmlich entgegengesprungen:

Als der Kirchenvorstand beschrieb, wie sehr sie ihren Pastor unterstützen.

Der Kirchenvorstand an sich schon. Ein Mix aus alt und jung, Männer und Frauen. Ich konnte ihnen ansehen, dass sie gemeinsam träumen. Dass sie Spaß haben, manchmal verrückt in der Küche tanzen und dann ernst am Tisch sitzen und das Gemeinde Jubiläum planen. Wie sie da saßen waren sie einfach ein Herz und eine Seele.

Und dann der Pastor. Eher ein introvertierter Mensch, der mit sich hadert. Ist er der Richtige hier? Kann er diese Gemeinde leiten? Sind andere nicht viel besser? Er war der Einzige, der so dachte. Alle anderen standen voll hinter ihm.

Und natürlich haben die fünf ihm geholfen. Haben ihm ein wunderschönes Zimmer eingerichtet, damit er nicht im schimmelnden Pfarrhaus leben muss. Sie haben ihm neue Klamotten besorgt und seine Frisur auf Vordermann gebracht. Haben im Gemeindehaus einen wunderschönen neuen Gemeinschaftsraum eingerichtet. Wie ein Café sah das nun auf einmal aus. Ein Raum um zusammen zu essen, zu planen, Kaffee zu trinken.

 

Und alleine dieser Moment, als die Kirchenvorsteherin die neue Kaffeemaschine sah und vor Freude begann zu tanzen. Sich zu freuen über den guten Kaffee, den sie jetzt hier zusammen trinken können.

Da war er der Traum. Von der Gemeinschaft die bei Kaffee zusammen sitzt und träumt.

Die sich wohlfühlt, die ein Zuhause hat in der Gemeinde. Da habe ich Gänsehaut bekommen.

 

Die noch viel größer wurde als dann das Gemeindejubiläum gefeiert wurde. In einer neu gestrichenen Kirche, lila, mit Regenbogenlicht. Bis auf den letzten Stuhl besetzt. Babys, alte Menschen, aller Hautfarben. Alle waren da. Und haben gelacht mit dem Pastor, haben geklatscht.

Der Traum war zum Greifen nah.

Der Traum der Urgemeinde mitten in Amerika.

Der Traum von „ein Herz und eine Seele“

 

Und da auf dem Sofa war mir wieder sehr klar: Ich habe einen Traum.

Ich träume genau davon! Von einer Gemeinde in der wir uns zuhause fühlen. Von einer Gemeinde in der die Kaffeemaschine zum Treffpunkt wird. An dem die großen und die kleinen Sorgen zur Sprache kommen. Ich träume von einer Gemeinde in der alle willkommen sind - und dann auch alle kommen. In der es niemanden stört, wenn das Baby während der Predigt durch die Bankreihe krabbelt. In der laut gelacht werden darf, auch im Gottesdienst. Und in der die Tränen fließen dürfen. Solange sie eben fließen müssen.

Ich träume von einer Gemeinde, in der klar ist, dass nur gemeinsam der Traum wahr werden kann. In der es nicht um Macht und Posten geht. In der jeder und jede etwas besonders gut kann und genau das ist wichtig. Nicht das, was wir eben jeweils nicht können.

Ich träume davon so frei und locker predigen zu können wie der Pastor in der amerikanischen Gemeinde. Und ich träume davon, dass wir uns gegenseitig zu sagen: Du bist ein Kind Gottes.

Und uns dann umarmen.

Und klar, gegen eine lila Kirche mit Regenbogenlicht hätte ich auch nichts…

 

Und natürlich ist mir klar, dass nicht alle Träume wahr werden. Dass wir nicht in Amerika leben, andere Traditionen haben und das auch in vielerlei Hinsicht sehr gut ist. Ich weiß, dass manche lieber in Ruhe der Predigt lauschen wollen, ohne ein Baby vor den Füßen. Mir ist klar, dass das mit der lila Kirche wohl eher nur mein persönlicher Geschmack ist. Und ich denke schon, dass auch in dieser amerikanischen Gemeinde ab und zu mal die Fetzen fliegen werden.

 

Und trotzdem brennt dieser Traum in mir. Denn ich habe die Chance diesen Traum zu leben.

Das ist der Grund warum ich Pastorin geworden bin und ich werde es nicht müde zu erzählen. Ich möchte Gemeinde zu einem Zuhause machen. In der alle Kinder Gottes willkommen sind.

Wo sie wie im Kindergarten Gottes das Leben erforschen und teilen können. Lernen und Nachfragen, zusammen essen, zusammen lachen, zusammen schweigen. Weinen, sich trösten und in den Arm nehmen.

Ich möchte Gemeinde zu der Urgemeinde machen, in der alle ein Herz und eine Seele sind.

Und klar streiten wir uns. Haben Konflikte. Denn klar sind wir eben Menschen. Mit Fehlern und Macken und verschiedenen Träumen. Die sich bestimmt oft zusammenruckeln müssen, mit Kompromissen klarkommen und Enttäuschungen ertragen.

Doch am Ende sind wir eben im Kindergarten Gottes - in dem immer am Ende das Verzeihen steht.

 

Und wisst ihr was das Beste ist? Ich träume nicht alleine. Ich muss nicht meinen Traum durchsetzen. Wo wäre da die Gemeinschaft? Das Herz und die Seele aller?

Das Beste ist: Wir sind der Traum.

Wir sind der Urgemeindentraum und die lila Kirche in Amerika.

Wir sind die Kinder Gottes und können unseren Kindergarten zusammen gestalten.

 

Können um die Kaffeemaschine tanzen oder lieber in Ruhe eine gute Tasse Tee trinken. Wir können darüber reden, ob die Babys durch den Gottesdienst krabbeln sollen und ob wir im Gottesdienst klatschen wollen. Wir können am Tisch sitzen und Pläne schmieden, uns dabei fetzen und am Ende uns versöhnen.

Wir können ein Herz und eine Seele sein.

Denn Gott hat uns zuerst geliebt.

 

Also worauf warten wir?

Der Traum der Urgemeinde ist zum Greifen nah.

Lasst uns zusammen träumen:

Hier in Seehausen, in Rablinghausen, in Bremen,

mit allen anderen träumenden Gläubigen auf der ganzen Welt.

 

Und dann nicht vergessen den Traum zu leben.

Den Traum der Urgemeinde.

Der Traum der seit über 2000 Jahren in uns brennt.

 

Achtung, fertig, los!

 

Amen.


Gehalten am 14. Juni 2020 über Apg 4,32-37

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