Es könnte so einfach sein...


Es gibt Sätze in der Bibel, die super kompliziert sind. Die muss ich zehnmal lesen und weiß immer noch nicht so genau, was mir das sagen soll.

Es gibt Sätze in der Bibel, die nicht mehr in diese Zeit zu passen scheinen. Die von alten Maßen, von längst vergessenen Währungen oder alten Gesellschaftsvorstellungen berichten. Die lese ich und denke mir: Ja, so war das mal, aber heute ist eben alles anders.

Es gibt Sätze in der Bibel, die sind grausam. Sie handeln von Zorn und Gewalt, von den grausamsten Morden im Namen einer Religion. Die lese ich und es schaudert mich.

Es gibt Sätze in der Bibel, die ich am Liebsten streichen würde, weil sie mir so gegen den Strich gehen. Weil sie gegen meine Werte wie Gleichberechtigung oder Toleranz gehen.

 

Und dann, ja dann gibt es Sätze wie diesen, die treffen mich mitten ins Herz:

Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem.

 

Ja. Absolut! Hinter diesen Satz will ich einfach nur ganz viele Ausrufezeichen malen. Ihn dick und rot unterstreichen und an meine Wand hängen. Oder ihn mir vielleicht sogar irgendwo auf meine Haut tätowieren lassen. Welchen Satz, wenn nicht diesen!

Und ich bin nicht die Einzige, der es so geht.

Eine Freundin von mir hatte diesen Satz früher in ihrem Zimmer in riesengroßen Buchstaben an der Wand kleben. Er war schon Jahreslosung. Und ich habe schon viele Konfis gesehen, die ihn in ihrer Konfirmationsurkunde als ihren Spruch stehen haben. Ganz zu schweigen von den vielen Taufkindern, denen dieser Spruch für ihr Leben mitgegeben wird.

 

Es ist ja auch einfach so ein guter Spruch für das ganze Leben, er trifft so viele ins Herz:

Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem.

 

Einfach schön und vor allem einfach wahr. Oder? Wie geht es euch damit? Würdet ihr euch diesen Spruch an die Wand hängen?

 

Ich würde es. Es ist eben einer dieser Sätze aus der Bibel, die mir etwas geben. Die mein Leben treffen. Mitten ins Herz.

 

Als hätte Paulus damals einen Bogen gespannt, seine Worte geschrieben, sie um einen Pfeil gebunden und mir direkt ins Herz geschossen. Und ich bin 2000 Jahre später immer noch getroffen.

 

Denn ja solange ist es schon her, dass Paulus ungefähr im Jahre 60 nach dem Tod Jesu diesen Brief geschrieben hat. An die Menschen in Rom, denen er sich und seine Botschaft vorstellen wollte. Darum ist dieser Brief auch so lang und teilweise sehr, sehr kompliziert. Weil Paulus seine ganze Vorstellung von Gott, dem Kreuzestod, der Auferstehung und wie die Gemeinden sich verhalten sollen, versucht in 16 Kapitel zu bringen. Weil er so viel zu sagen hat und vor allem weil er das zu sagen hat, was ihn und sein Leben ausmacht. Es geht um seinen Glauben. Um das, was sein Leben von morgens bis abends bestimmt, was seine Mission ist. Um das eben, was ihn mitten ins Herz trifft.

Und das will er mit möglichst der ganzen Welt teilen. Und es möglichst vielen Menschen auch als tragenden Glauben ans Herz legen.

Leider muss man heute sagen, dass für Paulus auch klar war, dass keine andere Religion diesen Platz einnehmen sollte. Dass alle anderen Religionen nicht gleichwertig sind.

Dass sind dann wieder so Sätze bei Paulus, die ich gerne streichen würde…

 

Aber dann gibt es eben diesen Satz. In einem Abschnitt, der von Liebe, Vergebung und Segen nur so strotzt. Paulus will hier den Menschen in Rom beschreiben, wie ein gutes Zusammenleben funktionieren kann. Für sie in ihrer Gemeinschaft und auch in allen anderen.

Welche Werte funktionieren und welche eben auch nicht.

 

Was nicht funktioniert ist:

Rache. Neid. Überheblichkeit. Nachtragen. Egoismus. Abgrenzung.

 

Was funktioniert ist:

Gastfreundschaft. Vergebung. Frieden. Mitfühlen. Gemeinsamkeit.

 

Und alles in allem eben zusammengefasst:

Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem.

 

Paulus spannt seinen Bogen mit diesem Satz und: Zack. Mein Herz ist getroffen.

Von diesen wunderbaren Worten.

 

Doch so wunderbar sie auch sind, sie treffen mich eben wie es ein Pfeil tut.

Spitz bohrt er sich in mein Herz. Schmerzhaft und tief, denn er trifft eine Wunde. Immer wieder.

Jedes Mal wenn ich  diese Worte lese, denke ich mir: Ja, es könnte so einfach sein…

Und ist es scheinbar nicht.

 

Es könnte so einfach sein mit dem Frieden. Mit der Vergebung. Mit der Gerechtigkeit. Mit der Liebe.

Wenn die Werte, die Paulus hier empfiehlt. Wenn nach diese Anleitung zur guten Gemeinschaft gehandelt werden würde. Wenn, ja wenn.

 

Ich muss niemandem von euch erzählen wie es in Wirklichkeit aussieht. Ihr und ich wir leben im Jahr 2020 und kennen die Nachrichten, die Bilder. Haben erlebt wie im Großen das alles überhaupt nicht so einfach funktioniert.

Und ihr und ich wir wissen auch wie es im Kleinen nicht klappt. Wir kennen unsere Geschichten von Streit. Egoismus. Neid. Und all dem.

Wenn das alles im Kleinen schon nicht geht, wie soll es dann im Großen?

 

Es könnte so einfach sein.

Und ist es nicht.

 

Es ist wie in den vielen Filmen. Wenn jemand vor einer wichtigen Entscheidung steht und auf den Schultern auf einmal auf der einen Seite ein kleines Teufelchen und auf der anderen Seite ein kleines Engelchen erscheinen. Beide haben eine sehr starke Meinung und versuchen die Entscheidung zu beeinflussen. Die Rollen sind klar verteilt. Der Teufel will das Böse, der Engel will das Gute.

 

Wenn wir nach Paulus Idee handeln würden, dann würde immer der Engel das Teufelchen mit einem Fingerschnips verschwinden lassen und am Besten noch einen Engel auf die andere Seite setzen.

Das Gute würde gewinnen. Das Böse würde mit dem Guten ersetzt.

Dem Menschen auf der Straße würde geholfen, der besten Freundin verziehen und die Waffe herabgesenkt werden.

 

Doch wie oft ist es anders. Das Teufelchen hat die besseren Argumente. Er kann es so drehen, dass selbst das Böse gut erscheint. Komm, du tust es doch für dich! Dieses eine Mal, gönn es dir. Denk mal an dich!

Und der Engel verpufft.

Und der Mensch auf der Straße wird links liegen gelassen, der Anruf der Freundin weggedrückt und der Abzug gedrückt.

 

Es könnte so einfach sein.

Und ist es nicht.

 

Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem.

 

Je öfter ich diesen Satz lese, desto schlimmer wird es. Aus der so wunderbaren Idee, dem Spruch fürs Leben wird immer mehr ein Mahnmal. Die Pfeilspitze bohrt sich immer tiefer. Sie pikst und sticht.

 

Warum?

Warum ist es denn nicht so einfach?

Warum schaffen wir es nicht?

 

Wenn das denn so einfach zu beantworten wäre. Ich zumindest habe keine Antwort.

Klar gibt es viele, die sich daran versucht haben. Die im Anfang der Bibel nach Gründen suchen und die Sünde als Schuldige ausmachen. Den freien Willen, den der Mensch bekommen hat. Die angebliche angeborene Sünde, die uns von Gott entfernt. Andere suchen in unserer Psyche und finden antrainierte Verhaltensmuster, die für das Überleben sorgen sollen. Andere suchen gar nicht und sagen einfach: Der Mensch ist eben schlecht. Damit müssen wir uns abfinden.

So einfach kann es sein.

 

Und ja, ich würde auch sagen, der Engel und der Teufel gehören zu uns. Sie sitzen beide auf einer Schulter. Schließlich kenne ich mein Leben und meine Entscheidungen. Und weiß, dass oft genug das Teufelchen sehr verführerisch ist. Im Kleinen.

Doch ich weiß auch.

Im Großen versuche ich immer den Engel gewinnen zu lassen.

Das Gute das Böse besiegen zu lassen.

Das ist nicht einfach. Aber es geht!

 

Und genau um das zu können brauche ich die Pfeilspitze. Brauche ich diesen Satz von Paulus, der mich daran erinnert wie es sein könnte. Wenn es alles einfach wäre.

Ich brauche diese Erinnerung wenn zu viele kleine Teufelchen auf den Schultern der Mächtigen sitzen. Wenn ich vor Ungerechtigkeit, die mir passiert wahnsinnig werde. Wenn ich höre, wie andere Menschen sich anschreien.

Dann brauche ich diesen Stich, diesen Piks der Ideen wie es sein könnte, wenn es alle so einfach wäre.

Wir brauchen diesen Satz als Erinnerung wie es sein könnte.

 

Paulus hat damals seinen Bogen gespannt und den Pfeil abgeschossen. Und seitdem trifft er mich und so viele andere immer wieder mitten ins Herz. Und trifft das Teufelchen und lässt den Engel gewinnen.

 

Und, was wir nicht vergessen dürfen, Paulus hat das beste Argument auf seiner Seite. Wenn jemand sagt: Aber das Böse gewinnt doch sowieso immer! Dann hat Paulus, dann haben wir den Grund, dass es gehen kann. Dass das Gute am Ende gewinnen kann:

 

Das Gute hat schon einmal gewonnen.

Es gibt Ostern!

Jesus ist auferstanden.

Gott hat die Liebe gegen den Tod gestellt.

Der Tod hat verloren, die Liebe triumphiert.

Das Gute hat das Böse mit unendlicher Liebe besiegt.

 

Weil Paulus daran glaubt, kann es auch im Leben klappen. Weil es diese unglaubliche Botschaft gibt könnte es einfach sein. Weil wir diesen Glauben haben können wir dafür kämpfen.

Im Kleinen und im Großen.

 

Wir können selber immer wieder diese Botschaft mitten ins Herz schicken. In unsere eigenen, wenn das Teufelchen wieder zu laut wird, und in anderen wenn wir sehen, dass der Engel am Verlieren ist.

Und davon träumen, dass es so einfach sein könnte.

 

Wenn wir auf Paulus hören.

Wenn wir unser Herz treffen lassen und dann auf unser Herz hören:

 

Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem.

 

Amen.



Gehalten am 5. Juli 2020 über Römer 12, 9-21

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