Einladung ins Paradies

 

Das Folgende ist die Geschichte der Kinder von Himmel und Erde, seit diese erschaffen wurden…

 

Das Folgende haben wir alle wahrscheinlich schon oft gehört und gesehen: Die Geschichte wie Gott die Welt erschaffen hat. Vielleicht schon im Kindergottesdienst, vielleicht auf einem Bild, vielleicht im Film. Bilder von Dunkelheit, von plötzlichem Licht und dann von paradiesischen Bäumen, wilden Gärten und mittendrin zwei Menschen.

Erst ist Nichts und dann ist da Stück für Stück die Welt.

Aus dem Nichts wird Natur. Aus dem Nichts werden Tiere.

Aus dem Nichts werden Wir.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Und es war gut.

 

Ganz am Anfang der Bibel. DER Anfang, schlechthin. Wie ging alles los? Wo kommen wir her?

Diesen Anfang brauchen wir. Brauchten die Menschen damals. Er musste an den Beginn. Ohne Anfang kann es nicht weitergehen.

 

Das Folgende ist die Geschichte der Kinder von Himmel und Erde, seit diese erschaffen wurden…

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Und das Folgende ist bekannt.

Oder?

 

Kennen Sie die Geschichte? Und wissen Sie auch wie es weitergeht?

Was nach der Schöpfung passiert?

Mit den Menschen im Paradies?

 

Der Anfang ist eben nur der Anfang. Was folgt ist der berühmte Apfel und die listige Schlange. Die Erzählung wie die Menschen es in kürzester Zeit schaffen, das Paradies verlassen zu müssen.

Die Geschichte der Schöpfung gibt es nicht ohne diese Fortsetzung. Und vielleicht ist das sogar die noch berühmtere Geschichte: Der Apfel, die Frau, die Nackten, die Sünde. Der Rauswurf.

 

Paradieserzählung.

So wird sie genannt. Erst das Paradies und dann dessen Zerstörung.

Erst wie es sein sollte.

Dann wie es nicht sein soll.

Zwei Geschichten, die unbedingt zusammenhängen. 

Zwei Geschichten, die so bekannt und beliebt sind.

Zwei Geschichten, die die Welt verändert haben.

 

Das Folgende ist die Geschichte der Kinder von Himmel und Erde, seit diese erschaffen wurden…

 

Es ist die Geschichte, die immer wieder erzählt wurde. Und immer wieder ist nicht immer gut. Wie bei der stillen Post verschwimmen nach und nach die Wörter, die Begebenheiten. Das, was eigentlich da steht. Es verändert sich, wird interpretier und abgeändert. Ausgeschmückt und ergänzt. Je nachdem wie wir die Geschichte erzählen wollen. Je nachdem was wir mit der Geschichte sagen wollen. Je nach Meinung und Überzeugung.

 

Die Paradieserzählung ist durch die Jahrtausende als stille Post weitergetragen worden. Es gibt Bilder über Bilder, Nacherzählungen in anderen biblischen und nichtbiblischen Büchern. Es gibt Filme und Comics und Bücher und Werbung. Immer ist es eine Sicht auf die Geschichte, eine die über Jahrtausende geprägt ist. Von Meinungen, die sich durchgesetzt haben.

Von der stillen Post Erzählung, die sich durchgesetzt hat.

 

Sie werden sie kennen, die folgende Geschichte der Kinder von Himmel und Erde, seit diese erschaffen wurden, so wie sie fast immer erzählt wird, die stille Post Version:

Gott schafft Himmel und Erde.

(Mal in sieben Tagen, mal ohne Angabe. Denn ja die Geschichte der Erschaffung der Welt wird zweimal erzählt. Und die Reihenfolge was, wann entsteht unterscheidet sich.

Aber das nur nebenbei.)

Gott erschafft den ersten Menschen. Aus Erde macht er ihn und dann ist er da: Adam.

Der erste Mensch. Ein Mann. Er heißt ja schließlich Adam. Und so heißen Männer. Oder kennen Sie eine Frau, die Adam heißt?

Der Mann bekommt eine Bedingung, um im Paradies leben zu können: Nicht vom Baum in der Mitte essen! Sonst muss er sterben.

Dann stellt Gott fest, dass es so als Mensch alleine nicht gut ist.

Und er schafft noch einen Menschen, aus der Seite, des anderen.

Der zweite Mensch: eine Frau.

Erst Mann, dann Frau.

Sie sollen zusammengehören sagt Gott.

Und alles ist gut.

 

Aber dann kommt die Schlange und wir wissen was passiert:

Die Frau lässt sich von diesem listigen Tier überzeugen, isst den falschen Apfel und gibt auch noch dem Mann davon. Die Frau ist schuld, dass es kommt wie es kommen muss:

Beide werden aus dem Paradies vertrieben.

Sie bekommen einen Haufen Strafen mit, die ihr Leben schwer machen werden.

Die Frau wird schmerzhafte Wehen haben, der Mann wird hart arbeiten müssen.

Der Mann soll über seine Frau herrschen und beide werden irgendwann sterben müssen.

Das war es mit dem Paradies.

Ab jetzt sind die Menschen ausgeladen.

Und das Leben beginnt…

 

So oder so ähnlich wird sie fast immer erzählt diese Geschichte. Wie oft habe ich das schon gehört und gelesen. Was ich gerade erzählt habe, ist noch die harmlose Version. Kein Wort von Sünde oder gar Erbsünde. Dass die Frau die Verführerin ist habe ich auch nicht gesagt und der Mann das arme Opfer eben dieser. Und doch, all das schwingt hier mit. Und hat unsere Welt geprägt.

Die stille Post Versionen der Paradieserzählung sind so lange erzählt worden - es fällt schwer davon loszukommen. Und warum eigentlich auch?

Schauen wir auf unser Leben, alles was da steht ist doch so: Die Frau hat Wehen, der Mann arbeitet, wir sterben sicher und meistens herrscht der Mann über die Frau noch.

Genauso sieht die Welt aus seit langem. Warum die Geschichte anzweifeln?

 

Weil es da anders steht.

Weil die stille Post Version so viel verdreht hat.

Weil es so viel ändern könnte.

 

Das Folgende ist die Geschichte der Kinder von Himmel und Erde, seit diese erschaffen wurden…

So wie sie auch gelesen werden kann. So wie es da steht, wenn man versucht die Brille der Prägungen abzunehmen:

 

Gott schafft die Erde.

Gott schafft den ersten Menschen. Aus Erde.

Adam heißt nichts anderes als „Erdling“. Ein Wesen aus Erde geschaffen. Ein Menschenwesen.

Adam ist der Mensch schlechthin.

Er hat noch kein Geschlecht. Er steht für alle Menschen, die noch kommen werden.

Ein Mensch noch ohne Zuschreibungen und Prägungen.

Ein unbeschriebenes Blatt sozusagen.

Adam, der erste Mensch steht im Paradies. Mitten zwischen den Tieren und Pflanzen.

Und Gott sieht, dass ein Mensch hier alleine nicht glücklich wird.

Dafür ist er nicht geschaffen.

Darum schafft Gott einen zweiten Menschen.

Aus dem ersten. Denn sie sind gleich.

Es ist keine Abwertung aus dem ersten Menschen gemacht zu sein.

So werden Menschen sich vermehren. Auseinander entstehen.

Wir alle sind so geboren. Aus dem einen Menschen. Und sind darum ja nicht weniger Wert.

Beide Menschen sind gleichwertig.

Und der zweite Mensch soll ein Gegenüber sein für den ersten.

Auf Augenhöhe, gleich. Damit sie nicht alleine sind.

Da mitten im Paradies, für das Gott sie beide geschaffen hat.

Jetzt erst bekommen die beiden Menschen die Bezeichnung Frau und Mann.

Sie stehen sich frei gegenüber.

Gleichwertig geschaffen. Ohne Herrschaft und Unterdrückung.

Denn das hat keinen Platz im Paradies.

 

Und genau darum geht es: Der erste Teil der Geschichte ist wie es gewollt war. So hat Gott die Menschen und die Welt geschaffen. Frei, ohne Herrschaftsverhältnisse. Als Gegenüber und als Gemeinschaft. Allein soll keiner sein und keine ist besser oder schlechter.

Das ist das Paradies. Der gottgewollte Zustand vom Anfang.

 

Und dann kommt Teil 2. Dann kommt die Geschichte mit der Schlange und dem Apfel. (Auch wenn es wohl kein Apfel war - haben Sie schon einmal einen Apfelbaum im Orient gesehen?)

Ja, die Frau nimmt den Apfel und isst davon. Sie gibt auch dem Mann davon.

Und der isst auch. Er hätte auch Nein sagen können.

Und keineswegs geht es hier um die Frau als Sünderin im sexuellen Sinne. Nichts ist davon im Text zu finden.

Die Sünde ist das sich Entfernen von Gott. Von der Idee des Paradieses. Die Menschen wollen lieber Erkenntnis haben, wollen auch so sein wie Gott.

Das ist die Sünde, der Fehler, den sie machen.

Darum bekommen sie alle die Strafen und müssen raus aus dem Paradies.

Wohin? Ins Leben.

 

Dieser Teil der Geschichte erzählt den nicht-gewollten Zustand. Und damit wird erzählt und begründet warum unser Leben so ist wie es ist.

In der Theologie nennt man das: Ätiologie. Mit einer Geschichte wird unser Jetzt begründet.

Die Geschichte vom Apfel ist ein Erklärungsversuch. Warum unser Leben so hart ist, wie oft ist.

Es ist im Grunde nichts anderes als eine Rechtfertigung der Verhältnisse.

Als diese Geschichte aufgeschrieben wurde herrschte der Mann über die Frau. Und so ließ es sich perfekt begründen. Nicht nur das, noch so viele andere angeblich feststehende Verhältnisse und Ordnungen. Über Jahrtausende. Mit Folgen bis heute.

 

Aber die stille Post Version hat vergessen, dass eben dieser Zustand nicht gewollt war.

Gottgewollt war das Paradies.

Das gleichwertige Gegenüber der Menschen.

Der erste Mensch, der noch gar kein Geschlecht hatte.

Gemeinschaft, Freiheit und Miteinander von Natur und Mensch.

 

Das Folgende ist die Geschichte der Kinder von Himmel und Erde, seit diese erschaffen wurden:

Wir haben uns das Paradies verspielt.

Schon lange als die Geschichte aufgeschrieben wurde. Der Mensch wollte Macht und eine Ordnung untereinander. Der eine wollte besser sein, mehr haben.

Und so bekommen wir keine Einladung ins Paradies.

So hat Gott uns nicht geschaffen.

 

Doch ich glaube:

Die Einladung ins Paradies steht.

Wir können lesen, wie es eigentlich gedacht war. Wenn wir uns so gut wie möglich von Prägungen, Vorurteilen und stiller Post freimachen. Wirklich lesen, was da steht.

Und vor allem wirklich hinhören, hinsehen und hinfühlen.

Denn Unterdrückung fühlt sich nicht gut an.

Macht kann nie das Gefühl eines liebenden Gegenübers ersetzen.

Das Paradies fühlt sich anders an.

 

Erzählen wir die Geschichte neu.

Wie sie eigentlich gemeint war.

Wie das Paradies sein könnte.

Unsere Welt.

Unser Leben.

 

Denn am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und den Menschen.

Und siehe, damals war es doch eigentlich sehr gut!

 

Amen. 

 

Gehalten am 20. September 2020 über Gen 2

 

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