Ordnungshalber

 Kollision.

Zwei stoßen aufeinander, gegeneinander.

Knall auf Fall, Frontalaufprall. 

Bumm.

Würde mein Sohn jetzt sagen. 

Bumm. 

Genau so fühlt es sich an. 

Zwei prallen zusammen, zwei die nicht zusammengehören. 

Sie können nicht anders als eben diesen Knall zu verursachen. 

Denn sie passen einfach nicht zusammen.

Haben sie noch nie.

Werden sie nie.

Wollten sie auch nie. 

Und immer wieder diese Kollision.

Unvermeidbar und sehr unangenehm. 

Bumm. 

Einfach bumm eben. 


Heute. Früh am Morgen. Bumm. Viel zu früh wach. 

Da ist sie wieder die veränderte Stunde. Nur 60 Minuten eigentlich und doch sind sie anstrengend. Für die einen mehr und für die anderen weniger. Die einen wollen sie sowieso schon immer abschaffen und die anderen haben gute Argumente warum wir sie unbedingt brauchen. Diese 60 Minuten. Die regelmäßig dafür sorgen, dass wir zu früh oder zu spät sind. Uns freuen uns einfach noch eine Stunde im Bett wälzen zu können, oder augenreibend uns über die geklaute Stunde zu ärgern. 

Da passiert etwas, was wir nicht in der Hand haben. Andere haben mal beschlossen, dass wir die Zeitumstellung einführen. Und dann wurde es so gemacht. Die Zeitumstellung wurde angeordnet und alle haben sich daran zu halten. 

Was würde es bringen, wenn ich jetzt sage ich mache da nicht mit? Ich möchte gerne meinen inneren Rhythmus behalten und mit Kleinkind ist es sowieso noch nerviger alles. Ich lasse meine Uhr einfach so wie sie ist. Macht ihr das mal alleine mit eurer Zeitumstellung! Was würde das bringen?

Ja, genau. 

Sie ahnen es, es würde bumm machen. 

Meine Uhrzeit gegen die andere Uhrzeit. Das würde nicht funktionieren. Ich käme immer zur falschen Uhrzeit. Ich würde hier alleine Gottesdienst feiern und sie kämen eine Stunde später und müssten sehen, was sie machen. Nicht, dass Sie nicht auch ohne mich Gottesdienst feiern könnten - aber komisch wäre es schon wenn die Pastorin alleine feiert. Weil sie sich nicht daran halten will. 

Ständig würde es zu Terminproblemen kommen: Welche Uhrzeit meinen Sie denn? Mein 15 Uhr oder Ihr 15 Uhr?

Wahrscheinlich würden mich alle für nicht ganz normal erklären und lieber gar keine Termine mehr mit mir machen. Wahrscheinlich würde ich mich am Ende doch wieder anpassen und die 60 Minuten angleichen. Denn 60 Minuten lohnen sich nicht wirklich für so viel Chaos.

Für diese Kollision der einen und der anderen Uhrzeit.

Für so viel Bumm in meinem Terminkalender und in komplizierten Verabredungen. 

Also mache ich mit. Also machen alle mit. Alle, die sich alle halbe Jahre wieder über die Zeitumstellung aufregen. Sehnsuchtsvoll warten sie auf die Umsetzung der Abschaffung die das EU Parlament doch eigentlich beschlossen hat. Warten wir also weiter. Und passen uns an. 

An die Anordnung. 

Lassen wir uns immer wieder auf die Kollision ein.

Sie prallen aufeinander.

Heute früh am Morgen: 

Innere gegen äußere Uhr. 

Bumm.


Gestern. Vor dem Supermarkt, auch da: Bumm. 

Er will in den Supermarkt, er hat Hunger. Und vielleicht braucht er auch neues Putzmittel. Samstag ist sein Putztag und da fehlt noch der Kalkreiniger. Er steht vor dem Supermarkt mit den Tüten in der Hand. Er müsste einfach nur reingehen. 

Doch da prallen sie aufeinander. Gegeneinander. Es passt nicht zusammen. Mitten in ihm passt es nicht. 

Er weiß, es muss sein. Und er weiß, er sträubt sich. 

In seiner Hand ist das kleine Stück Stoff. So klein und doch groß genug für eine mächtige Kollision. Wie angewurzelt steht er vor der Supermarkttür. Die Leute gehen an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen. Sie scheinen das Problem nicht zu kennen. Sie merken nicht, wie stark es in ihm kämpft. Die eine gegen die andere. Sie sehen höchstens einen Mann, der wohl vergessen hat, was er wollte.

Dabei weiß er es ja ganz genau: Er will Kartoffeln, Möhren, Butter und Kalkreiniger. 

Und er weiß, dass es richtig ist dieses Stück Stoff. Er ist keiner von denen, die demonstrieren gehen und glauben es wäre doch alles nur eine Erfindung. Über die ärgert er sich maßlos. Wie können die nur so sein? So ignorant? So von einer anderen Welt? Wenn er ehrlich ist: Wie können die nur so blöd sein?

Er holt tief Luft. 

Und die Kollision beginnt erneut.

Denn das ist sein Problem. Luft, Atem. 

Das Stück Stoff ist sehr sinnvoll, gar keine Frage. Doch er liebt die Luft. Er kann sich nicht daran gewöhnen. Beziehungsweise seine Nase kann es nicht. Dicht macht sie, sobald er das Stück Stoff drüberzieht. Er schnarcht förmlich und das ist ihm peinlich. Dazu die Brille, die ihm ständig beschlägt, sodass er wahrscheinlich dreißig Mal durch den Supermarkt irren wird, bevor er den Kalkreiniger überhaupt findet. Es ist so nervig und anstrengend und es ist so richtig. 

Sie ist so richtig, die Maske.

Sie muss seine Nase und seinen Mund schützen. So lautet die Anordnung. Und er will sie befolgen. Sein Kopf sagt ja und seine Nase sagt Nein. Sein Herz sagt Ja und seine Nebenhöhlen streiken. 

Was würde es bringen, wenn er jetzt einfach ohne Maske in den Supermarkt geht?

Sie ahnen es, es würde bumm machen. 

Sein Bedürfnis gegen die sinnvolle Anordnung. 

Wahrscheinlich würde er ganz schnell wieder rausgeworfen werden. Wahrscheinlich würden ihn sehr viele Menschen sehr böse ansehen. Wahrscheinlich würden sie einen noch größeren Bogen um ihm machen, als sowieso schon derzeit. Wahrscheinlich würde er so ein schlechtes Gewissen haben, dass er auch ganz schnell wieder rausgeht. Er hat kein Attest, er kann die Maske tragen. Und er sollte es auch. 

Also reißt er sich zusammen. Hält sich an die Ordnung. Zieht das Stück Stoff endlich an und betritt den Supermarkt. Und so schlimm ist es doch gar nicht sagt er seiner Nase. Es lohnt sich für uns alle. 

Er passt sich an. 

An die Anordnung. 

Lässt sich immer wieder auf die Kollision ein.

Sie prallen aufeinander.

Gestern vor dem Supermarkt:

Innere Zustimmung gegen körperliche Gegenwehr. 

Bumm.


Damals. Mitten im Kornfeld, auch da: Bumm. 

Ein ganz normaler Samstag. Ruhe, Entspannung, Ausruhen. Ein gemütlicher Spaziergang mit Freunden und Freundinnen. Die Sonne scheint golden und die Ähren glänzen noch goldener. Sie sind prall und fühlen sich gut an. Zwischen den Fingern kitzeln sie ein bisschen. Sie gehen durch das Feld und lassen die Finger immer wieder durch die Ähren gleiten. Ein schönes Gefühl an den Händen, doch der Bauch hält dagegen. Aus Ähren macht man Mehl und aus Mehl bäckt man Brot. Duftendes, frisches Brot. Hunger! Der Bauch ruft laut: Hunger! Und warum denn auch nicht? Warum nicht ein paar von diesen wunderschönen Ähren pflücken. Und ein bisschen knuspern. Vielleicht ein paar mitnehmen und Brot backen. Warum denn nicht? 

Und so pflücken sie. Ähre für Ähre halten sie in den Händen. Der Bauch knurrt vorfreudig und die Gesichter strahlen mit der Sonne um die Wette. Ihre Gesichter. Nicht die anderen. 

Sie sind nicht golden, sie werden rot. Empört schauen sie zu. Runzeln die Brauen und sehen sich verständnislos an. Es ist Samstag! Sabbat. Der Tag zum Ausruhen, der Tag ohne Arbeit. Gott machte Pause und so sollen es die Menschen auch tun. Heute ist Samstag - angeordnete Pause und die halten sich nicht an diese Ordnung. Was fällt ihnen eigentlich ein? Was glauben sie wer sie sind?

Besonders er. Der sie einfach machen lässt und der doch angeblich Gott so nahe steht. Er sieht wie sie sich nicht an Gottes Ordnung halten und protestiert nicht? 

Sie gehen zu ihnen und machen ihrem Ärger Luft. Werfen ihm all das vor. Frontal prallen sie aufeinander, die einen gegen die anderen. Und er. Er verteidigt sie auch noch. 

Kommt mit David, dem großen gottesfürchtigen David. Auch er ein Regelbrecher? Einer, der sich nicht an die Ordnungen hält? Auch er hätte einmal heiliges Brot genommen und verteilt. Auch er hätt eingesehen, dass Ordnungen für den Menschen sind. Und nicht der Mensch für die Ordnungen. 

Ach so? So einfach soll das sein? Dann können wir ja alle Ordnungen über Bord werfen. Wer weiß denn dann was noch richtig und was falsch ist?

Was würde es bringen? Auf Gottes Gebote zu verzichten? 

Sie ahnen es, es würde bumm machen. 

So wie damals auf dem Feld. Gläubige gegen Gläubige. Eigentlich dieselben gegeneinander. Eigentlich zwei Ordnungen gegeneinander, die doch sieselben sein sollten. Alle sagen, sie hören auf Gottes Ordnung. Nur irgendwie so, dass sie aufeinanderprallen. Dass sie nicht zusammenpassen. 

Den einen helfen die klaren Anordnungen, den anderen nicht. Die einen stellen die Ordnungen über ihr Bedürfnis, die anderen passen die Ordnungen dem Bedürfnis an. 

Und ist das eine richtiger, als das andere?

Die Kollision geschieht.

Sie prallen aufeinander.

Damals im Getreidefeld:

Inneres Wollen gegen äußeres Sollen. 

Gottes Ordnung gegen Gottes Ordnung. 

Bumm.


Morgen, übermorgen. Und immer wieder macht es Bumm. 

Weil immer wieder die Ordnung auf etwas prallt. Auf inneren Widerstand, auf die Vernunft, auf das Wollen. Ordnungen gibt es zuhauf. Sie sind alle unterschiedlich. Sie kommen vom Staat, sie kommen von der Stadt, sie kommen aus alten Traditionen. Gesetze, Verordnungen, Manieren. Man klaut nicht, man trägt eine Maske, man wartet bis alle am Tisch sitzen und fängt dann erst an zu essen. 

Ordnungen bestimmen unser Leben. 

Und wenn sie es nicht tun, oder jemand sie anfragt, dann macht es bumm. 

Wir brauchen Ordnungen. Ohne sie würde alles drunter und drüber gehen. Wir wüssten nicht wie spät es ist, wir würden uns alle gegenseitig anstecken und wir würden auch Sonntags arbeiten. 


Und gegen alle diese Ordnungen gibt es immer auch Widerstände. 

Damals, gestern, heute und morgen. 

Ordnung gegen Ordnung.

Ordnungsgefühl gegen Ordnungsgesetz.

Ordnungshalber gegen Unordnung. 


Widerstände, die sich lohnen. Weil sie genau das fragen, was Jesus fragt, damals im Getreidefeld:

Für wen ist die Ordnung da? Für die Ordnung an sich?

Oder für den Menschen? 

Was ist ihr Kern?


Und wenn ihr Kern das Wort ist, dann ist es gut. Eigentlich ganz einfach. 

Das Wort, das ich nicht loswerde. Was Jesus nicht loswird. Was wir nie loswerden sollten. 

Dann lohnt sich jede Kollision. Jedes Bumm zahlt sich aus. 


Denn es ist dir doch gesagt Mensch, was gut ist. Das Wort, die Stimme kennst du doch:

Liebe deinen Gott von ganzem Herzen und mit aller deiner Kraft und liebe deinen Nächsten und deine Nächste wie dich sich selbst. 


Ist das der Kern der Ordnung? Dann lass sie. Sie hilft. Dir und allen anderen Menschen. 

Ist das nicht der Kern der Ordnung? Dann los. Riskiere das Bumm. So wie Jesus es so viele Male riskiert hat. 


Frage nach dem Kern der Ordnung. Werde das Wort nicht los.

Und ja, das ist keine Empfehlung. Das ist eine Anordnung.


Bumm. 


Amen. 


Gehalten am 25. Oktober 2020

Über Markus 2,23-28


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