Stadt, Land, Bestes

 An den Kanälen von Babylon:

Dort saßen wir und weinten,

wenn wir an den Zion dachten.


Da sitzen sie. Und die Tränen fallen in das Wasser. Deprimierte Menschen sitzen am Fluss und starren hinein. Starren vor sich hin. Denn es ist einfach alles doof. 

Und daran sind die Schuld. Die, die Anderen. Nicht sie selbst, sie haben damit absolut nichts zu tun. Sie sind die Guten und die anderen sind die Bösen. Vor allem der eine.

Der Böser König.

Sie sind das gute Volk. 

Und sie sind hier mitten in dieser schlechten Stadt. Alles doof hier. Stadt, Land, Fluss - alles doof. 

Stadt, Land, Fluss - alles fremd. Nicht so, wie sie es kennen. Nicht so, wie ihr zuhause, ihre Heimat. Hier ist alles trübe.

Sie sehen absolut keine Perspektive. Kein Licht am Ende des Tunnels.

Die Stadt hier ist hässlich. Das Land ist fremd. Der Fluss ist trübe. 

In ihm schwimmen ihre Tränen. 

Kurzum, alles ist sehr doof. Um nicht andere Wörter zu verwenden, die ich hier in der Kirche lieber nicht sagen möchte...


Es gibt in der Bibel viele Geschichten. Und das ist eine davon. Die Geschichte der weinenden Menschen an den Strömen von Babylon. Und oftmals ist viel an den Geschichten genau das, aufgeschriebene Geschichten.

Keine historischen Fakten. Die Geschichten sind Texte, die gewachsen sind. Nach und nach, Jahrzehnt um Jahrhundert. Sie sind im Rückblick geschrieben und aus der Gegenwart heraus verändert. Biblische Geschichten erzählen Botschaften, sie sind kein Geschichtsbuch. 

Um das zu beweisen gibt es Menschen, die sich ihr Leben mit diesen Texten beschäftigen. Viele, viele Wissenschaftler*innen versuchen sie haarklein zu analysieren.

Wann wurde die Geschichte geschrieben? Warum und von wem?


Um kleinste Wörter geht es da, um Handschriften und archäologische Funde. Um Kamele in Geschichten in einer Zeit, in der die Menschen noch gar keine Kamele hatten. Oder um ägyptische Stelen, die in Hieroglyphen von Herrschern berichten, die auch in der Bibel vorkommen. Vieles lässt sich herleiten. 


Denn manchmal stecken eben doch sehr gut zu erkennende historische Ereignisse in den biblischen Geschichten.

Und das Volk da am Fluss, in der fremden Stadt, das ist genau so ein historisches Ereignis.


Denn das Land Babel gab es. Und auch seinen Herrscher Nebukadnezzar.  Gut, davon gab es sogar vier, Nebukadnezzar der erste bis vierte. Sie herrschten über Babylonien und bauten das Reich aus. Und Nebukadnezzar II. war sehr mächtig. Die Hauptstadt seines Reiches war groß und schön. 

Vielleicht waren Sie mal in Berlin im Pergamon Museum? Da gibt es das beeindruckende Ischtar-Tor. Das stand dort in der Stadt. Man kann sich vorstellen was das für eine Stadt gewesen sein muss.


Ehrlich gesagt war das Land Babylonien viel größer als die kleinen beiden Reiche Juda und Israel. Die Länder, in denen die biblischen Geschichten hauptsächlich spielen. 

Und Babylonien wollte immer mächtiger werden - wir es bis heute viele Länder wollen. Im alten nahen Osten war Krieg - immer wieder. Mal siegte der eine und mal der andere. 

Und dann siegte eben auch immer öfter Babylonien.

597 v. Christus siegten sie über das Reich Juda. Und wie es damals so üblich war, nahm der Sieger die besiegten Menschen mit zu sich.


Nicht alle - nein, vor allem die Reichen und Mächtigen. Die Oberschicht. Sozusagen als Siegesprämie. Sie mussten jetzt in Babel leben als täglicher Beweis, wer gewonnen hatte. Wer hier jetzt über wen herrschte. Das berühmte babylonische Exil. Das hat es gegeben, archäologische Funde belegen das sehr überzeugend. 


Und da sitzen sie dann also. Die Menschen aus Juda. In der fremden Stadt und sind elend. 

Hassen die neue Macht. 


Und da enden die historischen Fakten auch schon wieder. Denn so wie es uns der 137. Psalm verkaufen will, so war es wohl nicht.

Den Menschen dort ging es nicht schlecht. Sie durften eigentlich ziemlich normal weiterleben, sie durften sogar Sklaven halten! Fremde, besiegte Menschen durften im Exil Sklaven halten! Sie hatten ein gutes Leben, kein grausames Schicksal dort im Exil.  

Jedenfalls nicht von außen betrachtet.


Von innen sieht ja aber so oft vieles anders aus. Auch wenn sie keine wirklichen Gefangenen waren und Freiheiten besaßen, die ein gutes Leben ermöglichten.

Die neue Stadt, das Land und der Fluss waren immer noch fremd. Und die eigenen Bräuche und Traditionen hier nicht zuhause. Fremde Götter waren um sie herum. Kein vertrauter JHWH sondern Marduk und Nabu.


Da kann man schon mal böse werden auf die Bösen. Auf das Schicksal als besiegte Macht. Auf das erzwungene Leben in der Fremde. 

Da kann man schon mal einfach alles doof finden, oder?

Den Kopf in den Sand stecken und Rache schwören. 


Tochter Babylon, du Zerstörerin!

Glücklich sei, wer es dir heimzahlt –

die Gewalt, die du uns angetan hast.


Und da an den Strömen von Babylon, mit dem Kopf im Sand und Rachegelüsten im Herzen, da erreicht die Menschen in der Fremde ein Brief, von einem vertrauten Absender.  


So schreibt es zumindest das Buch Jeremia. Das über das Exil berichtet.

Und ja auch das ist nicht historisch und eher aus dem Nachhinhein geschrieben. Wer Jeremia genau war und wann er gelebt hat. Ob nicht eher im Nachhinein das Exil beschrieben wird, auch wenn die ganzen historischen Namen so tun, als wäre alles genau so gewesen - das ist alles strittig und wissenschaftlich interessant.

Aber lassen wir das jetzt Mal Beiseite.

Denn hier bei dem Brief aus dem Buch Jeremia zählt die Botschaft, die sich an die im Exil richtet.

Und nicht nur an die. 


Gott hat nämlich was zu sagen.

An die, die da den Kopf in den Sand stecken.

An die, die auf Gott hoffen und ihn hier so vermissen. 


Seid um das Wohl der Stadt, in die ich euch verbannt habe, besorgt.

Suchet der Stadt Bestes!

Betet um ihretwillen zu Gott, denn in ihrem Wohl liegt auch euer Wohl.

Ich allein weiß, was ich mit euch vorhabe,

Pläne des Friedens und nicht des Unglücks;

ich will euch Zukunft und Hoffnung geben.

Wenn ihr mich ruft, wenn ihr kommt und zu mir betet, werde ich euch hören.

Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden; ja, wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt,

werde ich mich von euch finden lassen.


Wenn ich es zusammenfasse sagt Gott:

Habt euch nicht so!

Ja, ihr seid nicht zuhause, ja ist grad alles anders gekommen, als ihr es euch gedacht hattet.

Aber jetzt nehmt mal den Kopf aus dem Sand und macht das Beste draus!

Hier ist es nicht so schlecht. Ihr habt viele Möglichkeiten.

Nutzt sie! Hört auf zu jammern. 

Irgendwann wir alles wieder besser und bis dahin macht doch bitte das Beste draus! 


Das ist eine Ansage. Klipp und klar. Und irgendwie auch ganz schön überraschend. Dass Gott nicht Mitleid zeigt und den Hass auf die bösen befördert. Schließlich haben die seine Tempel angegriffen haben. An anderer Stelle gibt es genau diesen hassenden Gott.

Doch hier, wo es darauf ankommt, ist Gott fast pragmatisch! 

Pragmatisch und Hoffnung gebend. 

Macht das Beste draus, denn ich bin ja immer noch da. 

In der Fremde, wenn alles doof ist, wenn ihr so richtig wütend seid: ich bin immer noch da! 

Und wenn das so ist, könnt ihr ja wohl den Kopf aus dem Sand nehmen und das Beste draus machen! 


Und vielleicht merken Sie jetzt schon, dass hier die historischen Fakten eigentlich echt egal werden.

Denn diese Botschaft, diese Ansage von Gott brauchten nicht nur die weinenden Menschen an den Strömen von Babylon. Die brauchten sie definitiv, um durchzuhalten. Und irgendwann wurde dann der mächtige Nebukadnezzar II. besiegt. Das Exil fand ein Ende. So wie Gott es verspricht.


Und diesen Brief, dieses Versprechen, brauchten danach Menschen und wir brauchen ihn heute. 

Jetzt in diesen Tagen ganz besonders. 


Ja, es ist alles doof. Es ist alles ganz… denken Sie sich jetzt die Wörter, die ich hier in der Kirche nicht sagen will… 

Wir wissen nicht was kommt. Wir stecken in einem dunklen Tunnel und es ist absolut kein Licht in Sicht, im Gegenteil es wird immer dunkler. 


Oft genug rollen die Tränen grad an den Strömen von Bremen. Wird der Kopf in den Rablinghauser Strand gesteckt. Denn wo soll das alles hinführen?

Die eigene Stadt, das eigene Land wird fremd. Nichts ist, wie es mal war. Die geliebten Traditionen und Bräuche sind weg. Vertrautes darf nicht sein. Exil in den eigenen vier Wänden, in der eigenen Stadt. 

Es gibt genug Gründe alles doof zu finden. Wütend zu sein und hoffnungslos. 


Und es gibt diese Botschaft. Von dem vertrauten Gott. 

Ich bin doch da!

Macht das Beste draus!

Suchet der Situation Bestes! 

Macht das Beste draus - so schwer es auch fällt. 

Und erinnert euch immer wieder an meine Worte, die gelten damals wie heute. 

An den Strömen Babylons und an den Strömen Bremens:


Ich allein weiß, was ich mit euch vorhabe,

Pläne des Friedens und nicht des Unglücks;

ich will euch Zukunft und Hoffnung geben.

Wenn ihr mich ruft, wenn ihr kommt und zu mir betet, werde ich euch hören.

Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden; ja, wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt,

werde ich mich von euch finden lassen.


Nein, ich glaube nicht, dass durch diese Worte die Tränen sofort stoppen und das Licht am Tunnel plötzlich erscheint. Es ist leichter gesagt, als getan das Beste draus zu machen. 


Und ich glaube, dass diese Worte dabei helfen können. Motivieren und immer wieder den Kopf aus dem Sand ziehen können. 


Suchen wir der Situation Bestes. Werden wir kreativ, kaufen Decken und Wärmflaschen. Reden am Fenster miteinander und passen alle gegenseitig auf uns auf. Auf die Körper und auf die Herzen.


Hören wir uns die alten Geschichten an, von Menschen denen es ähnlich ging wie uns. Und machen wir das Herz auf für die Botschaft, durch die wir uns sammeln und Zusammenreißen können. Pragmatisch hoffend eben. Mit der Erlaubnis immer wieder auch mal am Fluss zu sitzen und zu weinen. 


Gott allein weiß, was er mit uns vorhat.

Pläne des Friedens und nicht des Unglücks;

Gott will uns Zukunft und Hoffnung geben. 


Also, machen wir das Bestes draus!

Und dann wird es irgendwann bestimmt so sein, als träumten wir!


Amen. 


Gehalten am 1.11.2020 über Jeremia 29


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