Warum?

Warum?

Immer wieder diese Frage.

Warum?


Eigentlich müssten mich diese vielen Namen in Stein nicht berühren. Ich kenne sie nicht. 

Ich habe sie noch nie gehört. Ich habe keine Ahnung wie sie aussahen diese Menschen, welche Musik sie gerne gehört haben. Eigentlich müssten sie mich kalt lassen, wie der Stein kalt ist, auf dem sie stehen. 


Doch wenn ich hier heute stehe und diese Namen lese, bin ich berührt. 

Mein Herz zieht sich zusammen. Ich bekomme einen Kloß im Hals.

Hier stehen nicht irgendwelche Namen.


Hier hat das Grauen einen Namen. Nicht nur einen, sondern viele. 

Diese Steine schreien das Unrecht über Hasenbüren und Seehausen in die Welt hinaus:

Warum haben sie die Waffen auf andere gerichtet? Warum mussten sie alle sterben? Warum?


Im Gegensatz zu mir, kennen Sie vielleicht den einen oder anderen Namen. Oder mehr noch, sie wissen genau wie er aussah. Wie seine Kinder aussehen und die Enkel. Sie kennen die Geschichte des Tages als der Brief kam. Der sagte: Er wird nicht mehr nach Hause kommen. 

Ein geliebter Mann, ein Vater, ein Mensch wie du und ich. 


Da zieht sich das Herz zusammen.

Da bleibt nur das eine: Warum?


Und das schlimmste ist: Bisher haben wir keine Antwort. 

Wobei eine Antwort vielleicht schon. 

Die Antwort lautet: Macht, Größenwahn, kalte Herzen, Geld, Gier. 


Auch die Lösung kennen wir.

Sie lautet: Rücksicht. Gemeinschaft. Teilen. Nächstenliebe. 

So wie Gott uns eigentlich geschaffen hat. So wie Gott es eigentlich geplant hat. 

Gott unsere Zuflucht und Kraft. 

Kurzum: Frieden. 


Und trotzdem stehen wir hier und fragen immer noch: Warum?

Die Lösung klappt nicht. Obwohl wir sie doch kennen. Seit Ewigkeiten nicht. 

Wieder versucht jemand eine Synagoge anzugreifen. 

Wieder stehen Menschen in unserem Bundestag und hetzen gegen andere.

Wieder brüllen sie in ekelhaftem Ton ihre faschistischen Grausamkeiten. 


Warum?

Warum lernen wir nicht?


Wir stehen jedes Jahr hier, trauern um die Toten. 

Bekennen unsere Schuld.

Und fragen dieselben Fragen.

Dasselbe: Warum?


Weil uns das bleibt. Weil wir genau das tun müssen: laut und unüberhörbar zu rufen. 

Unsere Antwort, unsere Lösung immer wieder, immer nerviger zu wiederholen. 

Gegen die anderen Lauten. Gegen die Machtgierigen. 

Liegen wir ihnen zusammen in den Ohren!

Die Lösung ist so einfach: Ende Krieg. 

Ende Gewalt, Gier, Hass und Größenwahn. Ende der Waffen. 


Warum?


Damit nie wieder Menschen massenhaft ermordert werden weil sie anders scheinen. 

Damit nie wieder eine Mutter um ihr Baby weinen muss. 

Damit nie wieder ein Vater nicht nach Hause kommt. 

Damit wir so leben wie Gott es uns schon immer empfohlen hat. 


Darum. 


Ende Krieg. 


Hier vor den vielen Namen in Stein geschrieben.

Hier vor den Namen, die uns eine Mahnung sind. 


Wollen wir dich bitten, Gott unsere Zuflucht und Kraft: 


Sag mir wo die Blumen sind!

Blumen für die, die verfolgt werden.


(Blume niederlegen)


Gott wir bitten um Liebe für die Welt.

Denn Liebe kennt nicht Mauern und Grenzen und Rassen.


Sag mir wo die Blumen sind!

Blumen für die, die gehasst werden.


(Blume niederlegen)


Gott wir bitten um Einsicht:

Der neben mir ist Mensch wie ich. Mit Vater und Mutter und Lachen und Weinen. 


Sag mir wo die Blumen sind!

Blumen für die, die um die geliebten weinen. 


(Blume niederlegen)


Gott wir bitten um Trost.

Weil immer noch Trauer da ist um die Menschen, die fielen und vermisst sind seit den Kriegen.


Sag mir wo die Blumen sind!

Blumen für die, die mutig und laut für den Frieden sind. 

(Blume niederlegen)


Gott wir bitten um Tatkraft.

Dass endlich aus Hoffnung Friede wird. 


Amen.

Gehalten am 15. November 2020, Volkstrauertag 




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