Auf der Suche

 Athen 

Auf der Suche war ich damals.

Es war heiß und stickig. Sommer in Athen. Überall Menschen, überall Sonne und der Geruch nach Zedern und Kaffee in der Luft. Ich schwitzte und meine Füße taten weh vom Asphalttreten in der lauten Großstadt. Laute Stimmen und überall Souvenirhändler, die mir kleine griechische Götterstatuen andrehen wollten. 

Ich wollte sie nicht.

Ich war auf der Suche. 

Und dabei konnten mir die Souvenirhändler nicht helfen. 

Meine Suche war gezielt.

Ein Stück vom Weihrauch-Zauber-Seelenschmerz wollte ich mitnehmen. 

Ein Stück fremde Hoffnung, die zu meiner eigenen geworden war. 

Sie wollte ich mit nach Hause nehmen. 

Und so suchte ich. 


Hundert Schafe 

Auf der Suche nach einem Schaf.

Denn was meint ihr: Einer von euch hat hundert Schafe und verliert eines davon.

Wird er dann nicht die neunundneunzig Schafe in der Wüste zurücklassen?

Wird er nicht das verlorene Schaf suchen, bis er es findet?

Auf der Suche nach dem einen. 

Würden wir das wirklich tun?

Diese Mühe auf uns nehmen, wenn doch eigentlich alles da ist, was wir brauchen?

Schwund ist überall sagen wir doch immer. Wenn nun ein Prozent schwindet, was soll es? Da hinterherrennen?

Sich die Mühe machen und sich nach dem einen Cent bücken, der auf die Straße gefallen ist? 

Wirklich jede Socke, die in der Waschmaschine verschwindet ewig suchen? 

Da sind doch noch genug andere Socken im Schrank. 

Ist halt mal was verloren gegangen. Passiert.


Mist

Mist, es ist passiert. Ich habe mal wieder Mist gemacht, und es tut mir schrecklich Leid. 

Ich habe nur an mich gedacht, das ging zu weit.

Mist kann so vieles sein. 

Und hat doch immer damit zu tun, dass ich meine Scheuklappen aufsetze und hauptsächlich an mich denke. Oder vergesse andere nach ihrer Meinung zu fragen. Nach ihren Bedürfnissen. Ihnen den Cent aufzuheben, der auf der Straße liegt.

Ich hab Mist gemacht.

Ich habe einen Geburtstag vergessen. Da stand so viel in meinem Kalender. Ist mir weggerutscht.

Mist. 

Ich bin zu spät gekommen. Die Sonne auf meinem Balkon war so schön, da hab ich die Zeit vergessen. Du hast gewartet.

Mist. 

Ich habe einfach keine Lust gehabt und nicht zurückgerufen. 

Mist.

Da stehe ich nun auf meinem Misthaufen. Der immer größer wird. Die Aussicht ist gut von hier oben. Ich kann viel sehen. 


Auf dem Misthaufen

Ich sehe all die anderen Misthaufen. 

Wir haben Mist gemacht.

Jeden Tag neu. Kleine und große Miste. Sie häufen sich.

Häufen sich auf und stehen alle gemeinsam auf einem noch viel größeren Misthaufen.

Vereint. Mist zu Mist. Mensch und Mensch. 

Unser Misthaufen ist groß, wir kennen ihn zu gut:

Klimakrise. 

Kapitalismus.

Sexismus. 

Rassismus. 

Gewalt. 

Waffen.

Und das sind nur die ganz großen Sachen auf dem ganz großen Misthaufen. 

Dazu die vielen kleinen mit den vielen anderen angehäuften Mistsachen:

Augen zu gemacht, als der Obdachlose nach Geld fragte.

Nachrichten ausmachen, weil das Elend der Welt nicht mit ins Bett soll. 

Gelästert über die Nachbarn aus der anderen Kultur, die so laut sind.

Einem alles in die Schuhe schieben, was falsch läuft und solange Nachtreten bis er am Boden liegt.

Der Misthaufen stinkt. Von Kopf bis Fuß.

Wir haben alle einen. 

Wir stehen darauf und schauen lieber nicht runter.

Schauen nach oben, auf der Suche nach einer Welt ohne Mist. 


Sünde

Ich nenne es Misthaufen. Und andere nenne es Sünde.

Ein großes Wort. Verbunden mit allen möglichen Bildern. 

DIE Sünde gibt es nicht. Und keiner muss mehr im Fegefeuer brennen wegen ihr. 

Und doch haben wir alle den Misthaufen. 

Wir stehen auf seinem Gipfel und sind weit entfernt. 

Sehr weit entfernt von einer Welt ohne Mist.

Sehr weit entfernt von der Idee einer gerechten Welt.

Von diesem Traum vom Reich Gottes. 

Mit jedem Mist entfernen wir uns davon ein Stückchen mehr. 

Und ja, das kann man Sünde nennen.

Sich von Gott entfernen ist Sünde. 


Verloren

Wir haben Mist gemacht - also sind wir alle Sünder?

Das klingt hart und nicht wie 2021. Das klingt nach Mittelalter. 

Ich will mich so nicht sehen - als Sünderin. 

Und merke: Ich bin es. 

Mit meinem und unserem Mist. 

Und jetzt?

Was blüht mir, was blüht uns?

Vom Traum Gottes entfernt. 

Verloren gegangen im Mist. 


Gefunden 1

Auf der Suche war ich damals in Athen. Und mitten in der heißen Sonne fand ich ihn. Einen Laden, so stark klimatisiert, dass ich Gänsehaut bekam. 

So viele Hoffnungsbilder schauten mich an. 

Fremde Gesichter, die mir in einem Jahr Orthodoxie so vertraut geworden waren. Der Ladenbesitzer präsentiert mir eins nach dem anderen.

Doch keines war das, wonach ich suchte.

Bis ich ihn sah.

Und in dem Moment wusste ich:

Er hat mich gefunden. 


Gefunden 2

Gefunden. Obwohl wir doch knietief in unseren Misthaufen stecken. 

Ein Pieks mit der Mistgabel. 

Mensch, da bist du!

Was machst du da?

Warum baust du dir diesen immer höheren Misthaufen?

Hier, nimm meine Hand. 

Ich helfe dir hier raus. 


Egal

Eingeladen sind nämlich alle. Egal, wie viel Mist am Schuh klebt.

So verwundernd das auch ist. Damals für die Menschen, die protestierten, als Jesus mit Menschen, die als Sünder galten, gegessen hat. Mit angeblich Schmutzigen und Kranken. 

Die, die protestierten hatten vergessen, dass an jedem Schuh Mist klebt.

Auch an ihren. Wie an unseren. 

Jesus ist das egal. 

Denn in jedem Misthaufen steckt ein Mensch, der es verdient hat geliebt zu werden. 

Er sucht uns und wenn er uns gefunden hat reicht er uns die Hand. 

Gibt einen ordentlichen Stups mit der Mistgabel.

Er hält zu uns. 


Gefunden 3

Denn so sehr wir auch suchen. 

Gott hat uns längst schon gefunden. 


Ich halte zu dir.

Sagt Gott.

Verspricht es immer wieder.

Nach der Vertreibung aus dem Paradies, nach der Flut. 


Nach jedem Mist, den wir bauen. 

So weit wir uns auch von Gott entfernen. 


Gott sagt: 

Ich halte zu dir. 

Ich suche dich, wenn du verloren gehst. 

Und ich finde dich.


Und stelle dir dann die Frage:


Findest du mich auch?

Hältst du zu mir?


Jein

Ja. 

Ich will. Ich will es doch so sehr, zu Gott halten. Aufhören mit dem Suchen. Ab jetzt so leben, wie Gott es sich damals vorgestellt hat. Eben keinen Mist mehr bauen. Mich nicht von der Idee einer friedlichen Welt entfernen durch meinen Mist. Meine Lebensweise, meine geschlossenen Augen.

Wollen wir das nicht alle?

Und dann geht es wieder los das Leben. Mit all dem verlockenden Mist. Mit all den Angeboten, die mich wieder suchen lassen.

Ist das wahre Glück nicht vielleicht doch woanders? 

Ja, mich macht der Mist manchmal sehr glücklich und schon steh ich da wieder und kann nur sagen: 

Es gibt kein sicheres „Für immer“, es gibt nur die Möglichkeit

Sich immer wieder füreinander zu entscheiden und ich weiß

Ich hab' mich längst für dich entschieden, was geschehen ist, tut mir leid

Jetzt musst du wissen, was du tust, ich hoffe, dass du mir verzeihst

Ich kann dich nur darum bitten: „Bitte verzeih mir“

Und dir immer wieder zeigen, ich halte zu dir.


Regenbogen

Und so stehen wir jetzt da.

Jeweils am Ende des Regenbogens.

Gott da und wir hier. 

Suchen uns. 

Verlieren uns.

Finden uns. 

Und von vorn. 

Immer wieder neu.

Mal mit mehr Mist am Schuh und mal mit weniger.

Doch so sehr wir uns auch entfernen.

Im Regenbogen steht die ganze Zeit:

Du bist mir wichtiger als alles und die Worte fehlen mir

Ich kann's dir nur nochmal sagen:

„Ich halte zu dir“


Auf deinen Schultern

Meine Suche war beendet. Damals in Athen.

Ich hatte meine Ikone gefunden.

Dieses eine Bild, das ich mit nach Hause nehmen wollte.

Ein Stück Hoffnung auf Holz: 

Jesus am Kreuz.

Auf den Schultern ein Schaf.

Fest hält er es, damit es nicht wieder verloren geht. 

Damit ich nicht verloren gehe. 

Und niemand anderes. 

Der Regenbogen endet im Misthaufen. 

Und das verlorene Schaf steht mittendrin:


Und wenn er es gefunden hat, freut er sich sehr.

Er nimmt es auf seine Schultern und trägt es nach Hause.


gehalten am 20. Juni 2021
Grundlage: Dota Kehr "Ich hale zu dir" 

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