...abgewartet

 Wenn ich dieses Buch in die Hand nehme, dann ist es sofort alles wieder da: Der Geruch von Kinderpunsch, der Geschmack von Vanillekipferl, das Flackern der Kerzen im dunklen Wohnzimmer und das Gefühl der Geborgenheit. Eingekuschelt auf dem Sofa. Und Mama liest vor. 

Aus diesem zauberhaften Buch. 

Und das alles jeden Tag.

Im Dezember.  Unsere gemütliche Adventsstunde haben wir es genannt. Erst war sie nur jeden Sonntag im Advent, dann kam das Buch und jeden Tag gab es die gemütliche Stunde mit allem drum und dran. 

Ich habe das Gefühl damals hat sich eine kleine gemütliche Adventsstunde in meinem Herz eingerichtet und heute muss ich nur das Buch in die Hand nehmen, die Augen schließen und schon bin ich wieder mittendrin in der Geborgenheit mit Punsch. 


Und diese kleine Adventsecke in meinem Herzen ist sehr praktisch, wenn plötzlich nach all dem Tod und den Tränen letzten Sonntag heute wieder Advent ist und ich Worte finden und auf einmal im Advent sein muss. Irgendwie geht das dann doch immer ganz schön schnell.

 

Und eigentlich möchte ich euch heute nicht diesen unvermeidbaren Satz hören lassen „Na, seid ihr schon im Advent angekommen?“ 

Der kommt gefühlt jedes Jahr von der Kanzel und ist so vorhersehbar. Und ich habe mal eine Predigt gehört, da fiel der gefühlt alle zwei Minuten und da wollte ich schon gar nicht mehr im Advent ankommen. 


Und ich muss zugeben, diese Frage ist eben auch jedes Jahr wieder berechtigt. 

Seid ihr denn schon im Advent angekommen? 


Im Supermarkt stehen nun zwar schon seit Monaten die Spekulatius, in Geschäften läuft Weihnachtsmusik - aber ist das wirklich schon ins Herz gedrungen? Hat es die kleine Adventsecke erreicht? 

Ist der Advent bei uns schon angekommen? 

Ab heute seid ihr bitte alle in glücklich, harmonischer Weihnachtsstimmung. 


Nein. Natürlich nicht. So schnell geht es bei den meisten von uns wahrscheinlich nicht. 


Erstmal müsste ja auch geklärt sein, was das überhaupt bedeuten soll: im Advent ankommen.

Nur weil jetzt mehr Lichter leuchten, Kekse immer vorhanden sind und Last Christmas rauf und runter läuft. Nur deswegen ändert sich die Welt ja sonst nicht, oder? 


Das ist eben das Problem. 

Nein. Das tut sie leider erstmal nicht. Und wenn sie es tut, dann aktuell eher zum schlechten als zum besseren. 

Dieser Advent steht auf wackeligen Beinen. Denn das worauf er hinausläuft, warum es ihn überhaupt gibt, steht auf noch wackligeren Beinen. Wie wir dieses Jahr Heiligabend und Weihnachten feiern können, grad weiß es niemand. 

Und das lässt meine Beine auch wacklig werden und mein Kopf denkt sich Pläne von A-Z aus, was wir wir eventuell wo machen können in unseren Gemeinden an Weihnachten. 

Das ist so gar nicht geborgen adventlich. Das ist anstrengend und nervig. Ich bin also wirklich noch nicht im Advent angekommen. Dabei würde ich das so gerne! So wie damals als Kind eingekuschelt auf dem Sofa - geborgen im Advent. 


Neulich habe ich irgendwo gelesen, ob wir dieses Jahr nicht lieber alle in den Winterschlaf gehen sollten. Das wäre doch praktisch! 


Auf jeden Fall denkt mein denkender Kopf, aber, aber sagt dann die kleine Adventsecke. Und das Buch hier klappert fast mit seinen Seiten. 


Warum habt ihr diese komische Vorstellung ab heute ist jetzt also glitzernd und duftend und schön? Immer gemütlich?

Wieso erwartet ihr, dass der Advent sofort alles schöner macht? Wisst ihr denn nicht, dass wir mehr können als Gemütlichkeit! 


Wir können warten. 


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Könnt ihr das auch? 


Denn das ist die Superkraft des Advents und allem was dazugehört: Warten. 


Das ist nun nicht das, was mir als erstes einfällt, wenn ich an unsere gemütliche Adventsstunde damals denke. Das steht nicht in all den werbekatalogen: kaufen sie diese Kerze, damit können sie gut warten! 

Die Werbung sagt eher: kaufen sie diese Kerze und sofort ist Weihnachten. Und Michael Buble singt dazu: Es sieht jetzt aber wirklich nach Weihnachten aus! 


Warten. Klar ist das die Bedeutung des Wortes Advent, aber auch der gemütliche Kern? 


Ich habe die Kinder in der Kita neulich gefragt worauf sie so warten. Und es ist ihnen ziemlich viel eingefallen: auf den Geburtstag, auf Ostern, auf die Kita, auf die Ferien, auf Papa, der zum abholen kommt. Und alle waren sich einig: warten ist doof. 


Und dann kommt der Advent und sagt: warten ist super! Eine Superkraft! Und darum ist eben schon die ganze Frage falsch: seid ihr schon im Advent angekommen? 

Ist denn schon alles ganz gemütlich? 


Kram nochmal nach in deiner gemütlichen Adventsecke, schau dir nochmal das Buch genau an.


24 Kapitel hat es. Und jedes beginnt mit einem Bild. Erinnere dich: 

Damals hast du dir verboten das nächste Bild anzusehen, bevor es dran war. Damals war es so spannend was am nächsten Tag passieren würde mit dem magischen Adventskalender. Damals hast du jeden Tag gewartet.

Auf die gemütliche Adventsstunde. 

Die gab es nicht sofort morgens. 

Das nächste Kapitel gab es nicht gleich am selben Nachmittag.

Die Lösung des Rätsels um all die Figuren, die sich nach und nach in dem Buch auf eine Zeitreise zur Geburt Jesu begeben, gab es erst am Ende. Wobei auch dann nicht so wirklich.


Jeden Tag hast du gewartet: auf das nächste Kapitel, auf die Kekse. Denn auch die gab es ja nicht gleich zum Frühstück! 


Warten war deine Superkraft im Advent schon als Kind. 


Warum ist sie es heute nicht mehr? 

Warum willst du, warum wollt ihr sofort im Advent ankommen? 


Vertrau auf die Superkraft.

Auch dieses Jahr. 

Warten hilft. 

Besonders jetzt.

Warten mit Keksen und Punsch.

Warten mit Perspektive. 

Macht es euch schön.

Denn ihr wisst es doch: 

Das Wunder geschieht. 

Es ist nicht weit weg.

Ihr wisst wie es ausgeht. 

Erinnert euch daran,

warum ihr wartet. 

Erinnert euch in jeder gemütlichen Adventsstunde. 

Findet es neu heraus.

Und dann: 

Wartet es nur ab! 


Und wieder klappert das Buch mit seinen Seiten. Und auf magische Weise fällt ein kleiner Zettel heraus: 


Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.

Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«


Gehalten am 1. Advent 2021

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