Dennoch und Trotzdem (Einführungspredigt)

 


Es war nicht leicht. 

Ich bin gestrauchelt.

Mehr als einmal. 


Trotzdem.

Dennoch. 

Stehe ich heute hier.

Und ich kann euch gar nicht sagen wie glücklich mich das macht. 

Heute bin ich eure Pastorin. 

Heute strauchel ich nicht. 

Trotzdem war nicht immer heute. 


Dennoch: Das kannst du!

Damals. 

Damals war eine Klausur in der Schule. Religion 13. Klasse. Ein toller Lehrer, ein reichlich demotivierter Kurs. Keiner begeistert vom Thema Religion, alle gegen Kreuzzüge und überhaupt wozu brauchen wir in unserer wissenschaftlichen Welt denn Religion?

Eine Schülerin saß da und war überzeugt. Musste sich Kommentare anhören und hat versucht sich nicht zu ärgern. Hat lieber zugehört und gelesen und dann saß sie vor dem leeren Papier auf das es eine Klausur zu schreiben galt. Ein Bild von einem Maler und inwiefern das die Grenze zwischen Himmel und Erde darstellt und was das eigentlich bedeuten soll, diese Religion.

Viele rauchende Köpfe waren zu sehen, viele entnervte Blicke, was sollte man denn dazu nun sagen? Auf nichts hatte man sich vorbereiten können und die Abi-Note war doch wichtig!

Ein Stift schwang über das Papier, eine schrieb aus vollem Herzen. 

Ein paar Tage später gab es das vollgeschriebene Papier zurück. Viel Enttäuschung im Klassenraum. Wenn man nichts lernen kann, kann ja auch nichts draus werden. 

Dennoch.

Trotzdem. 

Eine hat sich gefreut. Eine hat da ein Kribbeln gespürt:

Das kannst du!


Dennoch: Studium 

Es brauchte noch ein gutes Jahr von damals bis zu dem Tag, als der Weg in die Burgstraße in Berlin führte. Mitten neben der Museumsinsel in das Foyer mit einer Büste von Schleiermacher im Foyer. Wer Schleiermacher sein sollte, damals hatte ich keine Ahnung. 

Damals hat der mich eingeschüchtert. Und ehrlich gesagt tut er das bis heute. So wie all die anderen großen berühmten Namen, die ihre wichtigen Worte in dicken Büchern mit unfassbar vielen Fremdworten in den Texten und Sätzen, die scheinbar nie ein Ende nehmen, und die ich dennoch verstehen soll. Und muss, damals jedenfalls, glaubte ich ich muss. Beziehungsweise verlangte es auch das Studium. 

Theologiestudentin wurde ich. 

12 Semester, 6 Jahre. 

Statt auf der Opernbühne zu stehen und im Scheinwerferlicht zu glänzen, wie es mein fester Plan gewesen war, saß ich über Griechisch-Vokabeln, las Platon und lernte welcher Theologe wie meint, dass das Alte Testament entstanden ist, oder auch nicht.

Was ein Theologiestudium bedeutet, hätte ich das gewusst, ich hätte es mir vielleicht anders überlegt. 

Stundenlanges Diskutieren über einen Satz, oder gar über zwei Wörter. Philosophische Konstrukte verstehen und sehr sehr viele männliche Autoren lesen und so gut wie nie weibliche. Sprachen lernen, die kein Mensch mehr spricht.

Ein riesiges Examen machen und dafür ein Jahr lang von 9-17 Uhr in der Bibliothek lernen und nochmal lernen. Kirchengeschichte von Jahr 0-2020 aufsagen können und vor den mündlichen Prüfungen die Angst des Lebens spüren. 

Dennoch.

Trotzdem. 

Hab ich es gemacht. Hab gelernt, hab versucht Immanuel Kant zu verstehen und dabei immerhin den Mann meines Lebens kennengelernt. 

Hab es geschafft, sonst würde ich heute nicht glückliche Pastorin sein.

Weil ich ein Ziel hatte, einen Grund und einen Traum. 


Dennoch: Revolution 

„Wollen Sie eigentlich die Kirche revolutionieren? Weil wenn Sie so weitermachen sind Sie bestimmt ganz schnell ausgebrannt.“

Im beschaulichen Ort namens Loccum fiel dieser Satz. In einem AEG, Ausbildungsentwicklungsgesräch. Denn nach dem ich Theologiestudentin war, wurde ich Vikarin. Also Pastorin in Ausbildung.

Das war mein Ziel:  Pastorin sein.

Und so kamen nach dem Studium zweieinhalb Jahre Praxis in Gemeinden mit 32 Wochen Aufenthalt im Predigerseminar in Loccum. 

Und schnell hatte ich da meinen Ruf weg „Kirchenrevoluzzerin“. Immer das Bestehende hinterfragen, immer Neues ausprobieren wollen. 

Was eben zu dieser Situation führte und zu der entsprechenden Warnung. 

Und klar habe ich es gesehen in meinem Vikariat, wie sehr der Beruf Pastor und Pastorin einen ausbrennen kann. Klar wäre es wesentlich einfacher das zu machen, was immer schon gemacht wurde. Nicht so viele Ideen zu haben. 

Dennoch

Trotzdem

Es muss möglich sein zu brennen ohne zu verbrennen. 

Und es muss neue Ideen geben. 


Dennoch: Kaninchen vor der Schlange und Ochs vorm Berg 

„Ich starre nicht wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Mitgliederzahlen, sondern lebe aus christlicher Überzeugung nach dem Prinzip Hoffnung. Jede Taufe ist ein Geschenk, und alle, die gerne in der Kirche leben und mitarbeiten, sind eine Bereicherung.“ 

Ein Satz von Ihnen lieber Herr Dr. Kuschnerus. Eine Reaktion auf die  immer weiter steigenden Austrittszahlen. Ich finde das eine sehr positive Aussage und mutig. Und ich bewundere diesen Satz und diese Sichtweise.

Positiv und optimistisch zu bleiben und gleichzeitig zu akzeptieren, dass die Kirche eben immer kleiner wird.

Ich schaffe es nicht immer so positiv zu bleiben. Ich bin manchmal das Kaninchen vor der Schlange.

Ich weiß wie knapp die Finanzen werden. Ich sehe wie wir Gemeinden um jedes Mitglied ringen, denn Mitgliederzahlen sagen aus wie viel Geld die Gemeinde bekommt. Wie viele Mitarbeitenden sie beschäftigen kann.

Ich muss euch nicht erzählen, dass Gemeinden kooperieren, dass Gebäude oft nicht erhalten werden können. Wie teuer es ist eine Kirche im Winter zu heizen, in die dann nur ein paar wenige kommen. Ich weiß, dass wegen der Corona-Krise die Haushalte der Landeskirchen knapp werden.

Ich glaube nicht, dass ich die Kirche revolutionieren kann, auch nicht, dass ich den Mitgliederschwund aufhalten kann. Dann würde ich sofort verbrennen. 

Dennoch.

Trotzdem. 

Muss sich etwas verändern. 

Und darum bin ich keine Revoluzzerin, sondern Pastorin von ganzem Herzen und mit all meiner Kraft. 


Dennoch: Du leitest mich nach deinem Plan 

Damals war ich dann ganz schön sauer. Endlich Pastorin, das zweite Examen auch geschafft und dann hat meine Landeskirche mich dahin geschickt, wo sie mich brauchten. Und das ausgerechnet so weit weg: Rablinghausen und Seehausen!

Von Berlin nach Bremen zu ziehen war schon schwer genug gewesen. Und nun auch noch so weit raus? 

Ich kann eben oft nicht so gut erst mal ruhig bleiben und abwarten, hätte ich das mal gekonnt. Das hätte mir einige wütende Reden erspart. 

Ihr wisst ja alle, was dann passiert ist. Im April 2020 bin ich zu euch gekommen und habe ziemlich schnell beschlossen nicht wieder gehen zu wollen. 

Es hat einfach gepasst. 

Mit den besten Mitarbeiterinnen, die ich mir nur wünschen kann. Mit der Offenheit für meine bunten Ideen. Mit Gemeinschaft beim Kuchen, auf der Friedhofsbank und in Konfihausen. 

Und das alles die ganze Zeit auf Abstand. 

Trotzdem hier nicht immer alles wie im Bilderbuch ist. 

Denn klar, auch wir hier sitzen in dem großen alten Kahn namens Kirche. Uns treffen die schwindenden Kirchenmitgliederzahlen. Gerade wir als zwei eher kleine Gemeinden.

Die nächsten Jahre werden anstrengend und es wird sich wahnsinnig viel verändern. Was selbstverständlich war wird es nicht mehr sein.

Dennoch. 

Trotzdem.

Bin ich heute hier als eure Pastorin.

Ihr habt mich gewählt:

Mit dem was ich kann und mit dem was ich nicht kann. 

Mit meinen vielen neuen Ideen und meiner Ungeduld. 

Mit meiner Überzeugung, dass wir als Kirche etwas geben können, was andere nicht können: Halt, wenn alles andere wankt. Gemeinschaft, wenn keiner mehr da ist. Perspektive, auf das was mehr ist als nur wir. 

Nur eben nicht so, wie wir es die letzten Jahrzehnte gemacht haben. 

Nicht mit Festhalten an toten Pferden. Nicht mit dem Blick auf nur den eigenen Kirchturm.


Ich bin euch unendlich dankbar und will mit euch Gemeinde sein!

Ich brenne dafür mit euch hier zu leben, zu glauben und zu hoffen. 

Denn ihr habt meinen Traum wahrgemacht. 

Hier habe ich mein Ziel vorerst erreicht. 


Dennoch: Psalm 73

Ich bin gestrauchelt. 

Auf dem Weg hierher. 

Ich werde immer wieder straucheln.

Es wird nicht immer leicht sein. 

Für mich.

Für euch.

Für uns.


Gut, dass wir da das Dennoch haben.

Für alles, was noch kommt.

Das Dennoch, das Trotzdem von dem der da ist der da war und der da kommt. Der mit uns über Mauern springt und gegen Wände rennt. Die mit uns strauchelt und mit uns brennt. 

Das unglaublichste Dennoch dieser Welt: 


Dennoch.

Trotzdem. 

bleibe ich immer bei dir.

Du hast mich an die Hand genommen.

Du führst mich nach deinem Plan.


Amen. 


gehalten am 11.12.2021

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