Freischwimmer


Frei und schwerelos 

Schritt für Schritt. Zeh für Zeh. Ganz langsam, erstmal bis zum Bauch. Oder sofort ganz rein. Ohne zu zögern. Anlauf, Sprung und rein.

Rein in die Freiheit.

Abtauchen in die Leichtigkeit. 

Rein ins Wasser. 

Und mit jedem Zeh die Schwerelosigkeit fühlen.

Zumindest fast wie schwerelos fühlt es sich an. 

Getragen und umhüllt. 

Der Bauch, der sonst eingezogen wird ist leicht wie eine Feder.

Die Beine, die so viel laufen müssen fliegen durch das Nass.

Das Herz wird leicht. 

Im Wasser.

In der Badewanne. Im Plantschbecken. Im Pool.

Wasser kann dich frei machen.

Von Gewicht und Sorgen. 

Rein und abtauchen in die Freiheit. 


Im Schwimmbad 

Rein in den Badeanzug und ab in die Dusche. Alles riecht nach Chlor, es ist sehr warm. Kinderschreie hallen durch die Halle. 

Bloß nicht mit den Badelatschen ausrutschen.

Rein ins Schwimmbad. Und frei sein.

Getragen vom Wasser, Bahn um Bahn schwimmen.

Den Körper einfach machen lassen, den Kopf ausschalten.

Zug um Zug leichter werden.

Das Außen abschalten und frei sein.

Frei in deiner Bahn. 


Strenger Bademeister 

Bleib in deiner Bahn!

Bleib in deinen Becken und vor allem spring nicht vom Beckenrand. 

Im Schwimmbad gibt es Regeln, gute Regeln, denn sie sorgen für deine Sicherheit. Hier kann dir nichts passieren. 

Es ist klar, wo du Langschwimmen darfst und wo nicht. Es ist klar, dass du vorher duschst.

Und falls du doch einen Krampf bekommst, dann ist sofort jemand da.

Der Bademeister wird dich retten, das ist sein Job. 

Deine Freiheit ist hier sicher. 

Schwimm deine Bahn.

Mach dir keine Sorgen.

Hier kann dir nichts passieren.

Hier ist deine sichere Freiheit. 

Abgesteckt und klar geregelt. 

Geregelte Freiheit. 


Im See

Rein in die Badehose und ab auf den Steg. Ab ans Ufer und dann rein. Den Grund kannst du nicht sehen, das Wasser ist trübe. Der Himmel spiegelt sich darin und du ziehst Zug um Zug durch die Natur.

Du liegst auf dem Rücken, breitest Arme und Beine aus und lässt dich tragen. Bist frei und leicht. Das Wasser hält dich. 

Dein Körper ist befreit, die Bäume sind frei und der Wind pustet dir Freiheit um die Nase. 

Du schwimmst und schwimmst. Wohin du willst. 

Nie warst du freier, hier im See. 


Das andere Ufer 

Deine Beine werden schwer. Deine Arme langsam auch.

Noch immer frei und langsam angestrengt und müde. 

Du musst entscheiden, wann du aufhörst.

Du musst entscheiden, wie viel du schaffst. 

Wie weit kannst du die Freiheit genießen?

Schau rechtzeitig nach, wo das andere Ufer ist.

Hier im See bist du frei und hast dabei das sichere Ufer immer im Blick. 

Das Land ist in Sichtweite, du hast es in der Hand. 

Was kannst du alleine und wann brauchst du deinen festen Grund. 

Hier kann dir nichts passieren, solange du auf dich achtest.

Hier ist deine Freiheit.

Selbst gewählt und selbst begrenzt. 

Freiheit mit rettendem Ufer in Sichtweite. 


Im Meer 

Rein in den Bikini und die Füße in den Sand. Schritt für Schritt ins Brausen, Welle für Welle weiter hinein. Und dann fallen lassen, dich treiben lassen. Im Rhythmus sein, Welle für Welle. Arme ausbreiten und dich tragen lassen. Blick in den endlosen Himmel. Das Prickeln des Salzes auf deiner Haut. 

Den Grund kannst du nicht mehr sehen, weit unter dir ist er.

Je weiter du schwimmst, desto tiefer unter dir liegt er. 

Das Ufer wird kleiner und vor dir das Meer. 

Unendliche Naturgewalt.

Quelle des Lebens.

Und du mittendrin. 

Wasser, Himmel, Freiheit. 

Du schwimmst und schwimmst, wohin du willst. 

Endlos liegt der Horizont vor dir. 

Du bist so frei wie noch nie. 


Unendliche Weite 

Unendliche Weite, unendliche Freiheit. 

Im Meer.

Der Körper schwimmt befreit und du hast kein Ziel.

Du könntest ewig weiter schwimmen und der Horizont würde nicht wirklich näher kommen.

Unendliche Weite. 

Unendliche Kraft. 

Hier ist keiner der dich rettet, hier ist kein anderes Ufer. 

Diese Freiheit ist fast grenzenlos. 

Nur du und die Freiheit. 

Irgendwann kannst du umdrehen. 

Du musst wissen wann. 

Hier ist deine Freiheit. 

Unendlich weit im riesigen Meer.

Mit allen Gefahren, die diese Freiheit birgt. 

Freiheit ohne Grenzen mit allen Risiken.


Freiheit hat viele Namen

Freiheit. 

Wie oft und wie viel ist über sie schon geschrieben worden. 

Freiheit ist so klar und so verschieden. 

Für den einen reicht das Schwimmbad, die andere braucht den See und der andere das unendliche Meer. 

Immer ist sie da die Freiheit. 

Das Gefühl leicht zu sein, befreit von unangenehmen Sorgen und Einengungen. Sich frei schwimmen. 


Freiheit hat viele Namen. 

Erbittert wird um sie gestritten. 

Freiheit kann ich im Wasser finden. 


Freiheit an vorderster Front

Freiheit fand der eine berühmte Martin damals auch. Eingeengt hat er sich gefühlt von den Gesetzen eines unbarmherzigen Gottes. Der nur die Hölle für ihn vorgesehen hatte, es sei denn er schafft es fehlerlos durchs Leben zu gehen. Aber wer schafft da schon?

Er, Martin, jedenfalls nicht. 

Gerungen, gestritten, sich schreiend auf den Boden geworfen. Das hat er wohl getan im Kampf mit seinem Gott. Getrieben von der Sehnsucht von diesem Gott geliebt zu werden. Getrieben von der Sehnsucht nach mehr Freiheit. Im Leben und im Glauben. 

Freiheit stand an vorderster Front damals in der Reformation. 

Im wahrsten Sinne des Wortes auch an der Front. Die Freiheit der einen wurde gewaltsam gegen die Freiheit der anderen durchgesetzt. 

Freiheit hat so viele Namen und schon damals wollte jeder seinen Namen durchsetzen.

Es ist uns heute klar, dass Luther und all die berühmten Reformatoren lange nicht nur Gutes geschaffen haben. 

Und was Luther als Freiheit verstanden hat, würde heute wohl nicht mehr wirklich von uns unterschrieben werden. 


Und sein Kampf mit seinem Gott hat uns eine wichtige Erkenntnis gebracht. Sein erbitterter Kampf für mehr Freiheit im Glauben. 


Luthers gute Tat

Luther schrieb gegen den Gott, der starre Regeln kennt und nur schwarz oder weiß. Gegen ein Bild von Gott, der nur als erbarmungsloser Richter auftritt und dich verurteilt, sobald du den kleinsten Fehler machst.

Luther schrieb für den Gott, der dich liebt. Wie deine Eltern. Die Regeln für dich haben, und auch mal böse werden können - dich aber am Ende immer lieben. Die dich deinen Weg gehen lassen, nicht ohne gute Ratschläge, aber dich machen lassen, was gut ist für dich. Dich da schwimmen lassen, wo du Schwimmen willst. 

Luther schrieb für einen freieren Glauben.

Ein Glauben, der dich bestärkt dein Leben befreit Leben zu können. 


Glaube im Wasser

Der Glaube, der dich wie eben im Wasser sein lässt. 

Rein in die Freiheit.

Abtauchen in die Leichtigkeit. 

Getragen und umhüllt. 

Das Herz wird leicht. 

Immer getragen. 

Glauben, der dich diese Freiheit spüren lässt. 


Wie frei willst du sein?

Und ein Glauben bei dem du entscheiden musst, wo du schwimmst. 


In klaren Bahnen, bewacht vom Bademeister?

Mit Blick auf das andere Ufer, frei mit Sicherheit in Sichtweite?

Oder unendlich frei mit Blick auf den ewigen Horizont? 


Wie frei willst du sein? Wie frei soll dein Glaube sein?

Die Reformation hat dazu beigetragen, dass wir uns das heute fragen dürfen. Dass wir in den unterschiedlichen Konfessionen, Auslegungen und Frömmigkeiten suchen können, welcher Glaube zu uns passt.

Wie viel Freiheit wir brauchen und wie viel nicht. 


Je freier - je unsicherer 

Und wie beim Schwimmen wird es unsicherer und gefährlicher je freier wir sind. Je freier wir glauben, so angreifbarer machen wir uns und unseren Glauben dazu. 


Wenn ich feste Bahnen habe ist es einfach und sicher.

Gott will das und das nicht. 

Also mache ich das und das nicht.

Dann kann ich auf den rettenden Bademeister zählen. 


Wenn ich mich nicht zu weit vom rettenden Ufer entferne, muss ich mehr entscheiden. Wie weit geht meine Freiheit, wie lege ich die Texte des Glaubens und die vielen Regeln für mich aus? Und wann verlasse ich mich auf klare Abgrenzungen und halte mich daran? 


Wenn ich frei im Meer schwimme ist es am unsichersten. 

Unendlich frei heißt auch ganz in der Verantwortung zu stehen. 

Immer neu denken und die Glaubenstexte neu lesen und auslegen. 

Mich nicht nur darauf zu verlassen, was andere sagen. 


Alles ist möglich. 

Dank der Reformation und allem was folgte, sind wir hier in Deutschland frei zu entscheiden wie wir unseren Glauben leben wollen. In welcher Gemeinde wir Mitglied sind, welche Lebensweise wir unterstützen, welche Auslegung der biblischen Texte wir uns anhören wollen. 

Die Entscheidung liegt bei uns. 


Trägst du mich noch? 

Ich persönlich kann alles verstehen. Und habe mich für eine Schwimm-Variante, ein Freiheitsgefühl entschieden. 

Mein Glaube will keine festen Bahnen, das ist mir zu unfrei, zu eng. 

Mein Glaube will gerne das rettende Ufer und schafft es nicht im See zu bleiben. 

Mein Glaube schwimmt im Meer, immer weiter raus. 

Immer neu und dadurch auch immer zweifelnd und angreifbar.

Ob ich es schaffe, ob es gut ist so viel Freiheit zu wollen. 

Was ist, wenn ich jetzt einen Krampf bekomme?

Was ist wenn ich untergehe?


Trick 17: Schwimmflügel 

Noch war es nie soweit. 

Mein Glaube ist geblieben. 

Und ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun sollte. 


Frei.

Wandelbar. 

Auch mal provozierend für die Schwimmbad-Schwimmer. 

Mich leicht machend.

Mich überhaupt dazu bringend los zu schwimmen. 

Mich tragend. 


Und ich glaube, das liegt an meinem Glauben selbst.

Denn wenn ich einen Krampf bekomme. 

Wenn ich untergehe.

Dann gehen sie auf.

An meinen Armen:

Meine Schwimmflügel. 


Der feste Glaube, dass ich Gottes Kind bin. 


Und wenn ich untergehe, geht Gott mit. 

Wie er mit Jesus untergegangen ist. 


Und ich werde wieder auftauchen. 

Irgendwo da am Horizont. 

Wie Jesus wieder aufgetaucht ist. 


Weil er, weil ich, weil wir alle, die wir glauben Schwimmflügel tragen. 

Die uns nie ganz untergehen lassen. 


Nicht im Schwimmbad, nicht im See, nicht im Meer. 


Zur Freiheit hat uns Jesus Christus befreit. 

Weil Gott uns frei sein lassen will, damit wir gut leben können. 

Und unser Glauben uns tragen kann. 


Wir dürfen und wir müssen:

Frei Denken.

Frei Leben. 

Frei Glauben. 


Amen. 



gehalten am 31. Oktober 2021

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