Stirnlampe

 Aufgewacht und nachgedacht.

Wie schon die ganze Nacht.

Kein Schlaf, kein Auge zu. 

Karussel im Kopf. 


Warum hab ich das gemacht?

Warum das gesagt und wie?

Hätte ich es doch anders gemacht. 

Hättest du doch. 

Hätten wir doch. 


Hätte hätte.


War nicht so. 

War anders.

War blöd.


So richtig. 


So viel verbockt.

So viel falsch gemacht. 


Bereut. 


Wie Scheinwerfer strahlt es auf alle Fehler der letzten Tage.

Wochen. 

Monate.

Scheinwerfer leuchten da, wo doch alles eigentlich unter den Teppich gekehrt werden soll.

Wer will denn schon Fehler machen?

Wer will sagen: Ich habe Schuld?


Keiner will das. Fühlt sich nämlich grässlich an. 


Da sagt jemand: Du kannst das dann wohl nicht, wir suchen jemanden anders.

Da brüllt jemand: Du hast mein Herz gebrochen!

Da weint jemand: Ich hab dir doch vertraut. 

Da schreibt jemand: Ich habe auf deinen Anruf gewartet. 

Da flüstert jemand: Du bist nie da. 

Da bebt jemand: Du hast so viel und gibst mir nie etwas ab!


Und ich bin Schuld.

Du bist Schuld.

Wir sind alle Schuld.


An kleinen und großen Dingen. 

Niemand ist perfekt.

Leider. 


Hätte hätte.


Und dann sitzen wir da. 

Im Dunkeln. 

Tief unten. 

Allein. 

Versteckt. 

Vor denen, die uns sagen: Du bist Schuld.

Vor allem vor uns selbst. 

Die wir es ja genau wissen.

Es stimmt. 


Dann, wenn alles dunkel ist.

Wenn ich da unten sitze.

Tief in meiner Scham.

Tief in meiner Schuld.

Ist es nicht nur finster.

Ist es immer noch grässlich. 


Und. 

Da bist du.

Setzt mir etwas auf die Stirn. 

Von Angesicht zu Angesicht.


Wie schon Kain es von dir bekam. 

Einer, der seinen Bruder getötet hat. 

Also so wirklich großen Mist gebaut hat.

So wirklich tief da unten in der Tiefe saß.

Tief in der Schuld. 


Ihm hast du deinen Segen gegeben. 

Leuchtend auf der Stirn für alle.


Und vor allem für ihn.  

Auf seiner Stirn die leuchtenden Buchstaben:

Ich vergebe dir.

Ich kenne deine Fehler.

Ich liebe dich. 


Deine Worte.

Wie eine Lampe auf der Stirn.

Wie ein Licht in finsterster Nacht.

Wie ein rettender Strohhalm. 

An den wir uns klammern dürfen. 


Wir haben Schuld. 

Und du vergibst uns Schuldigern. 

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. 

Du bist unsere Stirnlampe. 

Leuchtest nach vorn. 

Auf das, was vor uns liegt.

Vergiss hätte, hätte. 

Vergiss den Versuch perfekt zu sein. 


Nimm die Stirnlampe mit. 

Mach es anders und neu. 

Und so, dass du möglichst selten in das tiefe Loch musst. 


Du bist Schuld und du bist geliebt. 

Da steht es auf deiner Stirn: 


Ich verzeihe dir.

Du bist mein geliebtes Kind. 



Gehalten am Buß und Bettag 2021


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