Jubeln üben

 Am Anfang…

Am Anfang war keine Welt.

Am Anfang war kein Mensch. 


Am Anfang war kein Meckern. 


Tag für Tag wurde die Welt. Mit all ihren Bewohnern und Bewohnerinnen. Mit Tag und Nacht und Tieren und Pflanzen und dem Himmel mit den tausenden Sternen. Mit Mond und Sonne und den Planeten und es war sehr gut. Es gab Wasser, es gab Licht und Wärme und ein Zusammenleben. Es war schön. 

Am Anfang war es sehr gut. 


Und dann kam der Mensch. 

Und das Meckern ging los:

Weil die Schlange so gemein war, weil Eva angefangen hat, weil das Paradies vorbei war, weil die Wüste zu heiß, weil der Bruder zu gemein und so weiter und so fort. So fängt die Geschichte der Meckerei an und sie geht weiter und weiter.

Die Meckerei fängt mit uns Menschen an. 

Immer stimmt etwas nicht, immer könnte etwas besser sein. 

Der Mensch meckert. 


Wie war der Urlaub? 

Ach, schönes Hotel, gutes Essen, tolles Wetter, da kann man echt nicht meckern. 


Wie geht es dir? 

Ach, eigentlich kann ich nicht meckern. 


Wie hat dir der Film gefallen? 

Ach, gut soweit. Ich musste echt ein paar mal Lachen und war ganz gut gefesselt, da kann ich nicht meckern. 


Und so weiter und so fort. 

Für mich gibt es keinen menschlicheren und vor allem auch keinen deutscheren Satz als diesen: Da kann man nicht meckern!

Ich weiß nicht, ob ihr den auch ab und zu verwendet. Ist ja auch erstmal nichts dabei, man könnte sagen, das ist doch nur so eine Redewendung. Und es ist doch ein Kompliment, schließlich wird nichts negatives gesagt! Man kann ja schließlich nicht meckern. 


Ich möchte euch erzählen, warum ich das mehr als eine Redewendung finde. Warum dieser Satz mich so ärgert.

Wie oft schon habe ich ihn gehört. Im Urlaub am schönsten Strand im schönen Hotel mit einem wahnsinnig guten Essen und neben mir sitzen sie und sagen: Ja, da kann man nicht meckern. 

Wenn ich jemanden gefragt habe, wie denn das Essen war. Und dann wird mir von leckeren Gerichten und guten Preisen erzählt und am Ende das Fazit: Da kann man nicht meckern. 


Und ich frage mich dann immer: Ja und nun? Ist das denn schade, dass  du nicht meckern kannst? Oder warum sagst du das? Würdest du gerne meckern? Weil wenn nicht, dann sag das doch einfach anders. 


Es wäre doch auch möglich zu erzählen wie lecker das Essen war und dann auch noch günstig: Wirklich toll!

Oder im Urlaub auf das Meer zu schauen und zu sagen: Es ist einfach schön hier, was für eine wunderbare Zeit! 

Das klingt doch gleich ganz anders oder? 

Wenn ich diese Sätze höre, dann sehe ich lächelnde Menschen. Keine verschränkten Arme oder zusammengekniffene Mienen. Ich sehe offene Gesichter und vor allem auch offene Herzen. 

Ich sehe positives. 

Bei „da kann ich nicht meckern“ ist gleich etwas negatives im Satz und somit auch im Menschen.


Meckern ist nicht positiv. 

Warum machen wir das dann so oft? 

Wollen wir negativ sein? 


Ich frage mich das wirklich oft. Gerade wenn ich auf unsere Welt, auf unser Land schaue. Die Schwarzseher, die Meckertanten, sie sind überall. Sie sind im Fernsehen, sie sind im Radio, sie sind oft in der Politik. Und sie sind hier. Sie sitzen im Bus, sie sitzen in der Straßenbahn, im Café und in der Kirche. Da höre ich die, die stöhnen und jammern, weil so viele aus der Kirche austreten. Ich höre die am Lautesten, die sich darüber ärgern und mit den Schultern zucken und weiter machen, wie vorher.

Und ja auch hier in unseren Gemeinden gibt es Meckertanten und Onkel. Die, die immer alles erstmal negativ sehen. Die, die viel zu meckern haben. Weil früher alles besser war, weil ja heute alles so anders geworden ist. Weil die einen das nicht machen und die anderen das. Weil die einem aus dem Stadtteil und die anderen aus dem Stadtteil kommen. Und so weiter und so fort. 

Ich will euch nicht auf die  Füße treten. Ich kann und ich will euch das Meckern nicht verbieten. Ihr dürft alle meckern! Es gibt immer wieder Momente, in denen das Meckern durchaus angebracht ist. Ich bin da auch nicht schlecht drin, da könnt ihr meinen Mann fragen. 


Und ich frage mich: Warum sind wir so?

Warum sagen wir einen Satz wie „da kann man nicht meckern“? 


Es gibt bestimmt viele Gründe und einer fällt mir immer mehr auf. Es ist kein Grund, der die große gesellschaftliche Lage erklärt, es ist einer, der aber für uns wichtig sein kann und sollte. 


Einmal war ich in einem Museum in Berlin. Es war eine Ausstellung, in der verschiedene Religionen Räume zu einer Geschichte gestaltet hatten. Judentum, Christentum und Islam. Alle betrachteten die Geschichte der Opferung Isaaks. An diesem Tag waren Menschen dieser Religionen zu Gast und erklärten ihre Interpretation der Räume. 

Die jüdische und die muslimische Vertreterin sprachen in begeisterten Worten, sie erzählten von ihrem Glauben und von der Botschaft, die sie in der Geschichte bewegt. Ich habe ihnen gerne zugehört. Und dann kam die evangelische Vertreterin. Und ihr habe ich nicht gerne zugehört. Weil sie so negativ geredet hat, weil es bei ihr um Schuld ging, um Konflikte. Da war keine Begeisterung, wenig Lächeln, da war ein gesenkter Kopf. 


Es liegt in unserer evangelischen DNA, das Negative, das Kopf senken und ja, auch das Meckern. Wir sind die, die in den Andachten viel auf das Dunkle sehen, und weniger auf das Helle. Wir sind die, die schwarz tragen und uns immer noch fragen, ob wir in der Kirche klatschen dürfen. Wir sind die, die „pssst“ zu den Kindern machen und nicht wollen, dass sie in der Kirche herumrennen. Wir sind die, die in der Pastor*innen Ausbildung lernen die Brautpaare darauf hinzuweisen, dass Liebe auch enden und schwer sein kann - und zwar bei ihrer Trauung in der Ansprache. 

Wir sind einfach sehr viel Karfreitag. 


Diese evangelische Karfreitags-DNA ist nicht nur bei uns, die wir mehr oder weniger aktiv in der Kirche sind, angeboren. Sie ist auch in unserer Gesellschaft, weil wir im Land der Reformation leben. Die Denkweisen sind tief in uns verankert, auch wenn die Meisten die nicht kennen und auch nicht an Gott glauben. 

Ich glaube, dass die evangelische-Karfreitags DNA ein Grund ist, warum wir so viel meckern. Warum das Negative so weit vorne steht. 

Wir denken und zerdenken.

Wir senken den Kopf.

Wir sind still.

Wir schauen auf das Kreuz. 


Und zu wenig auf die Auferstehung. 

Für meinen Geschmack jedenfalls. 

Denn auch das ist doch in unserer evangelischen DNA!

Besonders das.

Nicht nur das Dunkle, sondern besonders auch das Helle.

Die Freude, das Lachen, die Hoffnung. 

All das, was uns Lachen lässt und den Kopf nach oben halten.

All das, was uns sagen lässt: Das war richtig schön! 

All das, was uns laut sein lässt und nicht leise, bunt, nicht schwarz. 


Und klar ist das Kreuz einfach viel sichtbarer als die Auferstehung. Ist es viel leichter über das Dunkle zu reden, wenn das Helle so weit weg scheint. Es ist einfach viel leichter zu meckern über das sichtbare, als zu jubeln über das unsichtbare. 

Hier in unserer Kirchen, im Bus, im Cafe und zuhause. 


Und das sage nicht nur ich, das sagte sogar schon Paulus damals. Er schreibt im 2. Korinther Brief genau darüber und dann auch darüber, dass wir das ändern können.

Weil es eben Ostern gibt und nicht nur Karfreitag.

Weil das Unsichtbare ewig ist und das Sichtbare nicht.

Wir haben die evangelische DNA der Auferstehung -

wir müssen sie nur sichtbar machen für uns und für andere!


Ganz konkret: Wir müssen das Jubeln wieder üben!

Hier, im Bus, im Cafe und zuhause. 


Denn es gibt Grund zum Jubeln!

Wir müssen die Gründe sehen und fühlen üben.

Üben den ganzen Tag lang die Jubelgründe nicht zu übersehen.

Was es auch immer ist: Der schöne Sonnenaufgang, der die Wolken rosa färbt. Der Kaffeeduft in der Küche, der Anruf der Freundin, der pünktliche Bus, der geschenkte Moment zum Atmen, weil der Bus eben nicht pünktlich ist.

Ihr werdet sie finden die Jubelmomente!

Denn ja, die Welt ist auch zum Meckern.

Und sie ist voller Jubelgründe. 

Denn Gott sah, dass sie sehr gut war.


Gott hat uns nicht zum Meckern geschaffen!

Denn wer nur meckert sieht seine Mitmenschen weniger, wer ständig meckert hat weniger Energie etwas zu verändern, wer dauernd meckert lacht weniger.

Meckern hindert uns am Leben in Liebe zueinander und vor allem auch zu uns selbst.

Meckern ist wichtig, wenn es wirklich angebracht ist.

Aber ständiges Meckern hindert uns an so vielem. 

Vor allem so zu leben, wie Gott es einmal gedacht hat: In Liebe zu uns selbst und in Liebe zu unseren Mitmenschen. 


Darum bitte ich euch:

Vergesst den Satz: Da kann ich nicht meckern!

Sagt, was schön ist, was euch freut, was euch Lächeln lässt. 

Lasst uns weniger Meckern und mehr Jubeln. 


Denn wir haben allen Grund, und der ist Gott.

Mit seiner Schöpfung, seiner Liebe.  


Ganz konkret habe ich euch darum eine Hilfe mitgebracht für das Jubeln-Üben. Einen Text und eine Idee von der Autorin Christina Brudereck. 

Sie will sieben Mal jubeln am Tag.


Und dann lese ich:

Siebenmal pro Tag juble ich Dir zu.


Sieben Mal. Das scheint doch machbar.

Die Zahl könnte meinen: Unendlich oft.

Aber sie hat auch eine begrenzte Güte.

Sieben Mal!

Danken.

Zuallererst beim Aufwachen.

Dann bei der ersten Tasse Tee.

Zu beginn der Arbeit eines Tages.

Und in der Mittagspause.

Kurz, wenn am späten Nachmittag die Müdigkeit kommt.

Ausführlicher dann beim Kochen.

Und zum Einschlafen.

Siebenmal am Tag will ich Dir zujubeln.

Es scheint mir möglich.

Es scheint mir klug.

Es ist wohltuend. 


Am Anfang war keine Welt.

Am Anfang war kein Mensch. 

Am Anfang war Gott.

Und das ist und war und wird sein:

Grund zum Jubeln.


Amen. 


Gehalten am 21.4.24


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