Die Einladung
Und Jesus antwortete: Oh, da fällt mir eine Geschichte für dich ein.
1 Die Einladung
Eine Geschichte, die mit einer Einladung beginnt. Sie liegt im Briefkasten und dann vor dir. Sie sieht bestimmt sehr schön aus diese Einladung, so wie die für eine Hochzeit, oder einen ganz besonderen Geburtstag. Mit viel Mühe hat da jemand das Papier ausgesucht und die Schrift. In schnörkeliger Schrift steht dein Name auf dem Umschlag. Du öffnest das Papier ganz vorsichtig, um ja nichts zu zerreißen. Die Karte ist so schön, feines Papier und darauf steht: Du bist eingeladen!
Herzklopfen, Lächeln. Wie schön, wie wunderbar, eine Einladung, ganz besonders. Was für eine Ehre eingeladen zu werden.
Alles an dieser Karte sagt: Du bist besonders!
Und darum bist du eingeladen!
2 Die Vorstellung
Du fängst an zu träumen. Zu träumen von diesem Fest, was da kommen wird. Ganz besonders eben und du bist mittendrin. Etwas zu Essen wird es bestimmt geben und bestimmt wird auch alles schön dekoriert sein. Schöne Klamotten werden getragen werden. Weißt du noch neulich auf der Hochzeit? Da hatten alle so schöne Kleider an. Die Frauen trugen bodenlange Kleider und die Männer schicke Anzüge, die Kinder mit Blumen im Haar und schicken Kleidchen und Mini-Fliegen. Und alle sahen einfach so wunderschön aus. So wird es sein dieses Fest.
Du freust dich.
Auf die Kerzen und Stoffservietten und Silberbesteck, alles vom Feinsten, alles besonders. Eine Menükarte auf dem Platz mit den feinsten Speisen. Mindestens drei Gänge, ach Quatsch, so ein Fest hat mehr verdient. Mindestens fünf doch.
Und neben der Menükarte dein Name auf deinem Platz.
Fein geschrieben auf einer Karte, hier ist dein Platz, denn du bist eingeladen.
3 Die Sitzordnung
Wer wohl noch eingeladen ist? Welcher Name wird wohl neben deinem stehen? Wer neben dir sitzen? Rechts, links, gegenüber?
Über die Sitzordnung werden sie sich ja hoffentlich Gedanken gemacht haben. Bei so einem schönen Fest ist es doch wichtig, dass die Gäste sich wohlfühlen am Tisch. Die Familie zusammen, die Freunde und Freundinnen zusammen, die jungen Familien zusammen. Immer schön geordnet, sodass niemand sich unwohl fühlen muss.
Du stellt dir vor neben wem du sitzen wirst.
Neben wem du sitzen willst.
Und neben wem du eben nicht sitzen willst.
Denn was, wenn du die Menschen nicht kennst rechts und links und gegenüber von dir?
Was, wenn du nicht weißt, worüber du mit ihnen sprechen sollst?
Oder wenn die Menschen so ganz anders sind als du?
Wer hat eigentlich noch eine Einladung bekommen?
Wer ist auch so besonders wie du?
4 Der Weg zum Fest
Am Tag vom Fest ziehst du dich an. Deine schönsten Klamotten, du steckst die Einladung ein und machst dich auf den Weg, mit all deinen Vorstellungen vom Fest, was da auf dich wartet und zu dem du eingeladen bist.
Auf dem Weg siehst du andere Menschen. Du suchst nach bekannten Gesichtern, die vielleicht denselben Weg haben wie du. Du wünschst dir für das Fest deinen gut bekannten Sitznachbarn.
Du siehst viele Menschen auf dem Weg.
Sie sehen nicht aus, als hätten sie eine Einladung bekommen.
Menschen in Arbeitshose mit müdem Gesicht, Menschen mit Aktentasche und Handy in der Hand, Menschen mit lauten Kindern und schreienden Babys, Kinder die spielen und rennen, Menschen mit dreckigen Tshirts, Menschen mit allen Hautfarben, mit Falten, im Rollstuhl, Menschen mit Bart und ohne.
Du siehst die Menschen auf dem Weg und hälst dich an deiner Einladung fest. Du bist eingeladen, du bist besonders.
5 Die Realität
Du kommst an bei deinem Fest.
Und alle anderen kommen es auch.
Alle Menschen, die du auf dem Weg gesehen hast. Alle stellen sich in die Schlange an der Tür und ziehen ihre Einladung aus der Tasche. Aus der dreckigen Hosentasche, aus dem Wickelrucksack, aus der Aktentasche.
Alle diese Menschen haben eine Einladung.
Feines Papier, schnörkelige Schrift, und ihr Name drauf.
Du hast deine in der Hand. Du drückst sie so fest, dass sie langsam zerknittert. Das feiner Papier, die schnörkelige Schrift in deiner Faust.
Das kann doch nicht sein.
Wieso haben die alle auch eine Einladung?
Wieso dürfen diese Menschen auf das Fest? Sie sehen nicht so aus wie für das Fest, wo sind die bodenlangen Kleider? Wo die schicken Schuhe?
Warum sind diese Menschen auch besonders?
Du atmest tief durch und gehst hinein. Gehst hinein zum Fest, dass irgendwie so ganz anders ist, als du es dir vorgestellt hast. Als du es dir gewünscht hast. Als das, was du kennst.
Du gehst hinein und siehst eine lange Tafel, turmlang. Du gehst und suchst deinen Platz. Vielleicht sitzt du ja doch noch neben einem bekannten Gesicht, denn da, da hat ja doch noch jemand ein schönes Kleid an, da sieht ja doch noch jemand so aus, wie du es dir vorgestellt hast. Und ist dahinten nicht deine Nachbarin?
Hoffentlich sitzt du neben ihr.
Doch du schaust auf die Tafel und siehst: keine Platzkarten. Da steht nirgendwo dein Name, es gibt keine Sitzordnung.
Sollst du dich jetzt einfach irgendwo hinsetzen?
Was ist das für ein Fest?
6 Menschen an die du bislang nicht gedacht hast
Da nimmt einer deine Hand. Du zuckst zusammen, was soll das? Du willst nicht einfach so angefasst werden.
Der andere merkt es, lässt deine Hand los und lächelt dir zu. Weist auf einen freien Stuhl und setzt sich daneben.
Du kennst ihn nicht. Er hat keinen Anzug an. Er sieht nicht so aus, wie du dir das für dieses Fest vorgestellt hast, nicht so wie der, neben dem du sitzen wolltest. Mit dunkler Haut, einfachen Klamotten, Bart. Wenn du mein rechter, rechter Platz ist frei spielen würdest - ihn würdest du dir nicht herbei wünschen denkst du und seufzt. Du schaust noch einmal zu deiner Nachbarin, aber sie hat sich schon woanders hingesetzt.
Du gehst zum Tisch und setzt dich.
Neben ihn.
Und schon sitzt auf der anderen Seite noch jemand und dir gegenüber.
Du kennst niemanden davon.
Und du fühlst dich verloren.
Wo sind die Menschen, die du kennst?
Warum kann das Fest nicht nur für dich sein und die Menschen, unter denen du dich wohlfühlst? So wie neulich auf der Hochzeit eben, oder auf dem Dorffest.
Du schaust zu dem Menschen dir gegenüber. Auch er rutscht auf seinem Stuhl hin und her und schaut auf seinen Teller. Es ist der Mensch mit der Arbeitshose und den müden Augen.
Warum er wohl so müde ist? Was er wohl arbeitet? Wie seine Einladung wohl aussieht?
Frag doch einfach.
Was?
Frag doch einfach sagt der Mensch neben dir.
Und als du es nicht tust, weil du ihn ja gar nicht kennst, macht er es. Der Mensch neben dir. Fragt wo er denn gerade herkommt? Und die müden Augen beginnen zu glitzern. Sie erzählen Geschichten aus dem Leben, von müden und wachen Momenten. Sie erzählen von langen Wegen und kurzen Etappen. Um dich herum wird erzählt aus dem Leben. Von geschminkten Gesichtern und verschmierten Kindermündern.
Und du beginnst.
Beginnst zu erzählen. Erzählst von deinen enttäuschten Vorstellungen und von deiner Angst da zu sein, wo du dich nicht auskennst. Wo du nicht in deinem gewohnten Umfeld bist. Mit Menschen, die du nicht kennst und die so anders sind als du. Scheinbar. Von deiner Angst nicht besonders zu sein. Dein Herz spricht und die anderen hören zu, mit hörenden Herzen.
Der Mensch neben dir auch. Versteht dich und deine Enttäuschung und versteht die Müdigkeit des Menschen gegenüber, spielt mit den Kindern, die vorbeigelaufen kommen, grüßt deine Nachbarin und lacht laut über die Witze des Menschen da hinten links.
Langsam beginnst du dich wohlzufühlen.
Mitten zwischen den Menschen, an die du bislang nicht gedacht hattest.
7 Das Fest
Die turmlange Tafel ist gefüllt. Gefüllt von Lachen und Geschichten, von Tränen und Witzen. Die Teller sind gefüllt, es wird gegessen und getrunken. Angestoßen mit Kaffee, Wasser, Sekt und Slush-Eis. Die einen essen Reis, die anderen Brot, die anderen Nudeln und die anderen Pizza, die anderen Gerichte, von denen du noch nie gekostet hast. Es riecht nach Curry, Knoblauch, Schokolade und Basilikum. Die einen essen mit Gabeln, die anderen mit Löffeln, Stäbchen und mit den Fingern oder bekommen den Löffel mit Babybrei in den Mund. Unter dem Tisch tummeln sich Katzen, Hunde und kleine Äffchen, über den Köpfen fliegen Papageien, Tauben und ein Adler.
Es wird langsam dunkel draußen und die Sterne glitzern.
Hier sitzt keine exklusive Gesellschaft.
Hier bleibt man nicht „unter sich“.
Hier sitzen hörende Herzen.
Alle einladen, alle besonders.
Der Adler kreist noch die ganze Nacht unter den glitzernden Sternen, über der turmlangen Tafel mit den Menschen die lachen und essen und teilen und weinen und erzählen.
Und er breitet seine Flügel weit aus.
Ganz weit über diesem himmlischen Fest.
Amen.
Gehalten am 9. Juni über "Das Festessen im Himmel" aus dem Lukas Evangelium
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