Segen ohne Grenzen

 Segen 

Am Ende werden die Hände gehoben. 

Manche sagen sie kommen nur deswegen in die Kirche. Manche schließen dann die Augen. Manche sagen, man kann ihn spüren.

Andere verwenden ihn wie einen guten Wunsch und nicht mehr. Andere kennen ihn nur aus Redewendungen. Andere verstehen überhaupt nicht was das soll.

Segen. 

Ist schon Jahrtausende alt. Gibt es schon ganz am Anfang in der Geschichte der Erschaffung von Himmel und Erde. Und wahrscheinlich auch noch schon vorher, nur nicht aufgeschrieben. Ist ein Wort im wichtigsten Gebet des Judentums. Baruch. Barach. Klingt schön. Klingt fremd. Klingt nach mehr. 

Segen. 

Unser Wort kommt aus dem Lateinischen. Signum, ein Zeichen. Sichtbar. Ein Kreuz, oder eine Hand auf dem Kopf, Öl auf der Haut. Wie ein Sigel. Signum. Segen.

Segen. Auf Latein heißt das Benedicere. Jeder Benedikt ist ein Gesegneter. Benedicere heißt gutsagen. Gutes sagen. Gutes zusagen. Im Segen sagen wir alles Gute zu, dass Gott einem Menschen schenkt, mit einem sichtbaren Zeichen. Das ist Segen per Definition. Mehr können wir nicht, den Rest müssen wir fühlen und glauben. So wie die Menschen schon vor Jahrtausenden als sie aufgeschrieben haben, wie ein Segen geht und sich anfühlt und was Segen alles kann, wenn am Ende die Hände gehoben werden. Segen ist oder auch nicht. 

Ohne Segen geht es auch und ohne Segen fehlt etwas.


Ohne 

Denn Ohne kann beides.

Ohne heißt, dass wir mit etwas nicht ausgestattet sind. Oder auch: Wir sind frei von. Etwas zugehöriges fehlt. 

Ohne kann blöd sein. Ohne Mütze im Winter frieren meine Ohren. Ohne Geld kann ich mir nichts zu Essen kaufen. Ohne Krankenversicherung kann ich nicht zum Arzt. Ohne Freunde fühle ich mich allein. 

Ohne Freunde kann es aber manchmal auch schön sein. Ohne nervige Verwandte ist die Familienfeier netter. Ohne Arbeit kann ich meinen Urlaub genießen. Ohne Diktatur kann ich in Freiheit leben. 

Ohne ist frei von und ist nicht ausgestattet mit. 

Ohne kann gut sein und ganz blöd.

Die Grenzen sind fließend. 


Grenzen 

Martin Luther mochte Grenzen. Bei ihm taucht das Wort zum ersten Mal ständig in unserer Sprache auf. In der Luther-Bibel gibt es folglich viele Grenzen. Und überhaupt nicht nur da. Grenzen sind überall. Auf den Landkarten, auf dem Girokonto, in den Köpfen. Grenzen sind so viel und so unterschiedlich. Grenzen sind die Markierung zur Absicherung von Macht und sie stecken den eigenen Zuständigkeitsbereich ab. Damit sind sie auf jeden Fall hilfreich und sie sind einengend. Sie können beides, wie unser Wörtchen ohne. Allerdings können Grenzen auch sehr viel Leid verursachen. Sie können paradox und willkürlich sein. Nehmt die Grenzen im Mittelmeer. Die einen fliegen fröhlich mit Urlaubskoffern darüber und die anderen ertrinken ohne Koffer darunter. Die einen dürfen die Grenze überqueren und die anderen nicht. Grenzen, die Menschen gezogen haben. 

Die ganzen unsichtbaren Grenzen in unseren Köpfen „Das macht man nicht!“ „Meine Grenze ist hier erreicht!“

Grenzen sind überall und so verschieden und fließend und wer sie absteckt hat Macht, wer an ihr steht nicht. 

Es gibt Grenzen.


Ohne Grenzen 

Und was wäre, wenn nicht? Ist das überhaupt vorstellbar? Ein Leben, eine Welt ohne Grenzen? Schwer. Wirklich nur schwer. Wir sind so an sie gewöhnt an die Grenzen. In unserem Pass steht, wo wir leben und woher wir kommen und das entscheidet, wo wir hin dürfen und wo nur unter bestimmten Bedingungen. Welche Grenzen wir überqueren dürfen. Ohne Grenzen, dürften dann alle einfach überall hin? Es gäbe keine Zäune zwischen den Häusern, kein hier ist meins und da ist deins. Es gäbe keine Nachbarschaftskriege über herabhängende Äste auf die andere Seite. Es gäbe keine Grenzen in den Köpfen, was in Ordnung ist und was nicht. 

Das klingt nach Anarchie. Das kann Angst machen. Versinkt dann nicht alles im Chaos? Ohne Grenzen? Brauchen wir sie nicht? Helfen sie uns nicht? 

Es gibt die positiven Grenzen. Die Grenzen des Sagbaren zum Beispiel. Damit niemand den anderen verurteilt, einordnet wieder in seine Grenzen, die ihn ausgrenzen. Und andererseits wollen wir doch Freiheit in unserem Leben, wollen sagen können, wie es uns geht und was wir denken - ohne Grenzen. 

Und ist es nicht schön, wenn ich meine Ruhe habe und nicht mal eben der Nachbar auf dem Rasen sitzt, den ich gerade mähen möchte? 

Grenzen sind, es gibt Grenzen, hilfreiche und störende. Und die einen sehen es so und die anderen so.

Für manche sind Grenzen ein Segen und für die anderen ein Fluch. 


Ohne Segen

Denn ohne Segen. Was ist dann? Im Alten Testament ist es ganz klar: Ohne Segen ist Fluch. Im neuen Testament ist es auch so: Mit Segen ist Gnade und ohne ist Sünde. Ohne Segen ist es nicht gut, das ist schon mal klar. Heute gehen immer noch Menschen zu den Brauteltern und bitten um den Segen zu heiraten. Ohne Segen würde dem Gottesdienst definitiv etwas fehlen. Ohne Segen gäbe es keine Taufe und keine Hochzeit und keine Beerdigung. Ohne Segen würde uns hier in der Kirche ganz schön was fehlen. Und woanders? 

Woanders vielleicht nicht. Denn da reichen doch auch gute Wünsche. Segen braucht es für die, die nicht glauben eher weniger. Ohne Segen gehen wir auch gut durch das Leben, würden sie sagen.

Weil wo ist denn da die Grenze? Zwischen einem Wunsch und einem Segen? Muss ich an Gott glauben, wenn ich gesegnet werde? 

Geht es nicht auch ohne Segen?


Grenzen ohne Segen

Es geht. Bestimmt für viele. Und für viele nicht.

Wenn der Segen fehlt, fehlt etwas. Für mich jedenfalls. Es fehlt der liebevolle Blick Gottes auf einen. Und der soll doch sein. Wenn der Segen fehlt, dann sind die Grenzen hart. Sie grenzen aus und grenzen ab. Ohne Segen werden die Grenzen kalt und lieblos. Sie sind die Grenzen, die wegen Macht gezogen werden. Weil ich das haben will und da das eben nicht haben sollst. Weil dein Ast nicht auf meinen Rasen hängen soll. Weil ich hier schon immer gewohnt habe und du nicht und du auch noch anders aussiehst als ich. 

Grenzen ohne Segen heißt, dass Menschen nicht mitmachen dürfen bei dem Guten, was die anderen haben. Grenzen ohne Segen sind ein Fluch. Weil alle nicht mehr gleich sind, sondern von Anfang durch Grenzen getrennt. Wir hatten in diesem Land auch mal eine Grenze ohne Segen, die Familien entzweit hat und Menschen eingesperrt hat, an der viel gestorben sind und die wir bis heute merken können. Auch weil die auf der anderen Seite der Grenze sich viel und lange für besser gehalten haben. Diese Grenze war ohne Segen und es sind so viele. Die Grenzen zwischen den Religionen, die Grenzen im Himmel, wo die einen meinen ihr Gott ist besser und der einzig wahre. Diese Grenzen sind ohne Segen. 

Grenzen, die aus und eingrenzen. Grenzen ohne Liebe. Grenzen, die anderen wehtun, sie sind ohne Segen. Und wir haben so viele davon. 


Ohne Grenzen Segen 

Es könnte so anders sein. Es könnte ohne Grenzen Segen geben. Niemand muss glauben. Niemand muss an Segen von Gott glauben. Und ich glaube - er ist trotzdem der Segen. Ohne Grenzen. Denn warum sollte das Gute Grenzen kennen? Warum sollte alles Gute, das Gott einem Menschen schenkt Grenzen kennen? 

Alle, die nicht an Gott glauben haben auch Segen verdient. 

Alle haben ihn verdient. Ohne Grenzen. 

Segen macht nicht halt bei dem, der keine Kirchensteuer mehr zahlt. Segen macht nicht halt bei denen, die nur einmal im Jahr in die Kirche kommen. Ohne Grenzen Segen.

Das soll hier sein. Weil hier jeder kommen soll und darf und gesegnet werden. Jeder? Alle? Auch die, die die schlechten Grenzen unterstützen? 

Ja, auch die. 

Schweren Herzens. Erst einmal ist der Segen für alle da. Ohne Grenzen Segen. Im Voraus musst du dafür nichts tun.

Im Nachhinein dann schon. 

Denn wenn du Segen bekommen willst, wenn du Segen in deinem Leben spüren möchtest, dann gibt es Grenzen - alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Nicht alles bringt Segen. Also handele so, dass Segen mehr wird. Dass das Gute mehr wird, nicht das Gegenteil. Dazu soll dich der Segen motivieren. Dich anstapfen und die Rückenwind geben. 

Segen ist eine Art Anfangshandlung:

Wenn ein Körperteil leidet, leiden alle anderen mit; wenn ein Körperteil besonders gewürdigt wird, freuen sich alle anderen mit. 

Segen ist das: Grenzenlos freuen und mitleiden. Ohne Grenzen Segen heißt nicht Anarchie. Ohne Grenzen Segen heißt: Segen ohne Grenzen. 


Segen ohne Grenzen 


Hallo liebe Menschen in Seehausen und Hasenbüren, 


Ich wünsche euch Frieden von Gott.

Streitet euch nicht! 

Alle, die an Gott glauben, sind Kinder Gottes,

Alle gehören zu einer Familie:

Egal, welches Alter ihr habt, was für ein Geschlecht ihr habt und in welchem Land ihr lebt.

Egal, welche Sprachen ihr sprecht, wieviel Geld ihr habt, wie ihr zu Gott betet, wie gut ihr Lernern könnt, ob ihr weint, wütet oder lacht.

Alle Kinder Gottes haben gleiche Rechte und sind gleich von Gott geliebt.


Und wenn wir alle geliebt sind, dann kennt der Segen eben keine Grenzen. Dann wird niemand ein- oder ausgegrenzt. Dann gibt es keine Grenzen in den Köpfen, wer besser oder schlechter ist. Dann werden die schlechten Grenzen aufgelöst, weil sie nicht von Liebe durchzogen sind. Dann sind alle von Gott geliebt, ob sie nun daran glauben oder nicht. Dann werden Segensbrücken gebaut und alle wissen, dass sie wichtig sind. So wie sie eben sind. Dann begegne ich jedem Menschen mit Segen, weil ich gesegnet bin, grenzenlos. 


Daran erinnert uns Jesus: 

Wir sollen andere Menschen lieben und wir sollen Gott lieben.

Das Wichtigste für Gott ist die Liebe.

Und dann wird Segen ohne Grenzen sein. 


Hier und überall. 


Amen. 



Predigt vom 7.7.2024

Kommentare

Beliebte Posts