Einmal war alles anders
1
Einmal war alles anders.
Einmal war alles schön.
Nicht nur schön, mehr noch: Paradiesisch war es, mitten im Paradies. Mit Bäumen hoch zum Himmel, reife saftige Früchte an den langen Zweigen. Bunte Vögel, schöne Tiere, schillernde Fische. Summende Bienen und ewiger Nektar. Menschen, mittendrin. Menschen, Tiere, Pflanzen alle zusammen, mitten im Paradies. Zusammen, co-existierend. Keiner besser oder schlechter. Für alle genug von allem. Alle zusammen und mittendrin. Keine Gewalt, kein Neid, keine Zerstörung, kein Töten.
Friedlich, alle zusammen.
Im Paradies war alles anders.
Im Paradies war alles schön.
2
Einmal war alles anders.
Einmal war alles kaputt.
Das Paradies bleibt nicht so. Die Geschichte ganz am Anfang der Bibel ist nur sehr kurz so schön. Denn dann will der Mensch mehr. Der Mensch will Macht. Will mächtiger sein, weiter oben, bitte gleich mit Krone!
Der Mensch wollte keine Gleichberechtigung, er wollte Macht.
Der Mensch nimmt sich diese Macht.
Und alles geht kaputt:
Der Frieden, die Gleichberechtigung, das Zusammen sein - es geht kaputt.
In der Geschichte direkt nach der Schöpfung macht der Mensch das erste Mal die Schöpfung kaputt. Macht den Anfang, die wunderschöne Vorstellung wie es sein könnte auf unserer Welt, kaputt.
Und wird folgerichtig aus dem Paradies geworfen. Wer das Schöne stört, kann nicht das Schöne behalten.
Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
Diese Geschichte ist schon mehrere Jahrtausende alt. Und sie ist bereits Nachfolgerin anderer, noch älterer Geschichten, die dasselbe erzählen: Der Mensch will Macht und stört damit das Gleichgewicht in der Welt.
Schon vor tausenden von Jahren haben die Menschen diese Beobachtung an sich selber gemacht: Es könnte so viel schöner sein, wenn wir es anders machen würden. Nicht umsonst wurde die Paradieserzählung ganz an den Anfang der Bibel gesetzt. Alles braucht einen Anfang und wir brauchen die Vision wie es auch sein könnte, nämlich so, wie Gott es einmal gewollt hat mit Gleichberechtigung, Frieden und Respekt voreinander und der Natur.
Und die Geschichte macht die Konsequenzen klar, was passiert, wenn wir so eben nicht leben: Dann ist die Schöpfung gestört und wir müssen mit all den Folgen leben und so war es vor Jahrtausenden und so ist es heute:
Einmal machte der Mensch alles anders.
Einmal machte der Mensch alles kaputt.
3
Einmal war alles anders.
Einmal war doch alles heilig.
Die Geschichte von dem Ende des Paradieses, sie wird schon so lange erzählt. Und immer wieder fanden und finden die Menschen Ausflüchte: Die Frau ist Schuld! Der Mann hat doch alles richtig gemacht, die Frau muss unterdrückt werden. Die Schlange ist Schuld! Böses Tier, das müssen wir jagen. Gott wollte das doch selber so: Er hat den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, da dürfen wir jetzt auch über alles andere herrschen.
Wir sind die Krone der Schöpfung, wir dürfen herrschen, also machen wir es auch.
So lasen und lesen viele Menschen die Schöpfungsgeschichten der Bibel bis heute.
Und auch ein gewisser Hubertus von Lüttich lebte zu einer Zeit, in der vieles genau so interpretiert wurde.
Er lebte im Übergang vom 7. ins 8. Jahrhundert nach Christus im heutigen Frankreich und Belgien. Er war adlig, war ein Pfalzgraf am Hof. Hubertus von Lüttich war damit ein mächtiger Mann.
Und er wurde ein gläubiger Mann, ging nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt des Sohnes, als Einsiedler in die Ardennen und wurde später Bischof in mehreren Stätten. Er galt als milde, half vielen Menschen bei einer Hungersnot. Manche berichten, er habe von der Tollwut heilen können.
Und er lebte in einem Jahrhundert, in dem es völlig normal war, dass Adlige über den Nicht-Adligen standen. Dass Männer Macht haben durften und Frauen nicht. Dass das Hochwild von den Adligen gejagt werden durften und das Niederwild vom Pöbel. So ist es eben, so ist es gottgewollt, so lasen sie es aus der Bibel und sahen sich als gute Gläubige. Gute Gläubige, die sich Geschichten über Vorbilder erzählten. Vorbilder, die so gut lebten, dass sie ganz besonders nah an Gott rankamen.
Mehr als Vorbilder: Heilige!
So kam es, dass auch Hubertus von Lüttich ein Heiliger wurde. Dank einer Geschichte, die ursprünglich mit einem anderen Heiligen namens Eustachius verbunden war. Dank einer Geschichte, die in dem historischen Umfeld des 8. Jahrhunderts entstand und darum dieses Umfeld mitgelesen werden muss.
Die Geschichte von einer gestörten Schöpfung und einem Hinweis Gottes. Die Geschichte, die bis heute das Logo einer Schnapsmarke ist:
Da geht einer am Karfreitag jagen, ohne Rücksicht auf die Tiere, ohne Rücksicht auf den Todestag Jesu - dieser Mensch stört die Schöpfung. Mitten im Wald kommt dann der Hinweis Gottes in Gestalt eines Hirsches mit einem Kreuz auf der Stirn. Der Legende nach bringt dieser Hirsch und die Stimme Gottes da mitten im Wald den rücksichtslosen Jäger zum Umdenken. Er lässt sich taufen und je nachdem wen man fragt, hört er entweder ganz auf zu Jagen oder er jagt nur noch maßvoll.
Und da dieser Mensch einen solchen Hinweis Gottes bekommen hat und sich dann auch noch so vorbildhaft verhalten hat und ihm später im Leben wunderbare Taten zugeschrieben wurde, wurde er vom Papst heilig gesprochen.
Sowohl Eustachius, als auch Hubertus. Beiden wurde und wird diese Legende zugeschrieben. Eine Legende, die es ebenso schon vorher im Buddhismus gab. Wie schon unsere Erzählung vom Paradies nicht aus dem Nichts entstanden ist, so sind es auch nicht die Legenden der Heiligen.
Eustachius und Hubertus sind beide Heilige in der katholischen Kirche. Hubertus gilt als Helfer gegen Tollwut und Schutzpatron der Schützen und Schützenbruderschaften, der Kürschner, Metzger, der Metallbearbeiter, Büchsenmacher, Optiker, Mathematiker und Hersteller von mathematischen Geräten.
Es ist vielleicht zu hören: Ich bin keine Freundin von diesen Heiligen.
Die evangelische Kirche, der evangelische Glaube, hat keine Heiligenverehrung. Ja, es gibt Geschichten von Gotteserfahrungen, die Menschen gemacht haben, die uns Halt und Sinn geben können. Die uns anregen können uns an diesen Menschen ein Vorbild zu nehmen. So wie, St. Martin, der seinen Mantel teilt. Oder der Nikolaus, der armen Kindern Geld schenkt.
Vorbilder ja.
Mehr aber auch nicht.
Die Hubertus Legende kann als Vorbild für maßvolles Jagen genommen werden oder als Vorbild gar nicht mehr zu jagen. Beides ist historisch durch die Geschichte geschehen.
Doch der Mensch Hubertus ist für mich kein Heiliger. Und auch Martin und Nikolaus nicht.
Denn nur Gott ist heilig.
Wir Menschen sind es nicht. Nicht im Sinne von: Ich tue Wunder, ich mache alles richtig, ich bin näher an Gott als andere Menschen.
Sobald wir uns in diesem Sinne heilig nennen, wollen wir wieder zu weit oben sein. So wie die Menschen in der Geschichte des Paradieses. Sobald wir Menschen zu Heiligen erklären ist es leicht eigene Störungen zu übersehen und Ausflüchte zu finden.
Denn:
Einmal war das jemand anders.
Einmal blieben wir heilig.
4
Einmal war alles anders.
Einmal war alles heil.
Und genau da kommen die Fragezeichen. An die Ausreden und Erklärungen und Interpretationen der Geschichten, warum die Art wie wir leben und mit uns gegenseitig und mit der Natur umgehen, alles schon genau so richtig ist, wie es ist.
Denn wenn wir uns unsere Welt anschauen, war sie an vielen Ecken und Enden schon mal wesentlich heiler. Wesentlich Paradiesischer.
Und nie ganz heil.
Die Wälder zu den Lebzeiten von Hubertus von Lüttich haben anders ausgesehen, als es die Wälder heute tun. Die Populationen der Tiere waren ganz anders als heute. Das Klima war ein anderes, als heute.
Hier bei uns in Bremen und auf der ganzen Welt.
Und es darf nicht übersehen werden, auch schon damals im 7. Jahrhundert hat der Mensch die Schöpfung gestört und er hat in den Jahrhunderten danach noch ganz andere Möglichkeiten erfunden, noch mehr zu stören.
Weil er an sich gedacht hat und nicht an die Welt, in der er lebt.
Und tut es bis heute.
Und trägt die Konsequenzen - und will sie so oft nicht wahrhaben.
Als würde sich die Paradies-Erzählung wiederholen macht der Mensch so viel kaputt und redet sich heraus. Findet Erklärungen und Interpretationen, warum das alles schon in Ordnung ist und er es einfach nicht anders machen kann. Haben wir doch schon immer so gemacht, die Wirtschaft muss laufen, darauf verzichten kann ich nun wirklich nicht.
Ich bin auch so ein Mensch.
Ich störe die Schöpfung jeden Tag: Mit meinem Auto, mit meiner Kapsel-Kaffeemaschine, mit dem Konsum von tierischen Produkten und noch vielem mehr.
Ich störe. Wir alle stören.
Niemand von uns ist heilig.
Das ist und bleibt nur Gott.
Genau deswegen müssen wir es versuchen. Weniger zu stören. Das ist absolut nicht leicht. Es erfordert sehr viel. Und es ist nötig.
Am Anfang steht die Aufgabe mit dem Rausreden aufzuhören. Mit dem Zurechtlegen der biblischen Geschichten und anderer Erzählungen, das unser Art zu Leben legitimiert. Ein Leben, das zu oft die Schöpfung stört.
Wir müssen mit dem die Schuld von uns schieben und dem Augen zu halten vor der Realität unserer Welt, aufhören. Aufhören mit dem Hochhalten von Heiligen, um das eigene Stören zu rechtfertigen. Auch der Mensch Hubertus von Lüttich hat die Schöpfung gestört.
Wir alle tun das.
Es war nie einmal anders.
Es war nie alles heil.
5
Und doch, vielleicht:
Einmal wird alles anders sein.
Einmal wird alles…
Nicht heute.
Es reicht noch nicht. Es reicht nicht, dass Hubertus dann maßvoll gelebt hat. Es scheint nicht zu reichen, sich an ihm ein Vorbild zu nehmen und diese Legende zu feiern und es sich deswegen einmal im Jahr so richtig schön zu machen.
Wir brauchen mehr.
Für weniger Stören.
Vielleicht ist die Geschichte von heute Abend ein Anfang.
Die Geschichte vom Anfang, indem wir eben nicht gestört haben.
Es würde doch gehen, sagt die Geschichte.
Und genau dafür bin ich hier:
Unsere biblischen Geschichten zu lesen, mit allem Wissen über ihre Entstehungen und Interpretationen. Sie genau mit diesem Wissen heute zu lesen und euch davon zu erzählen. Von dem, was Menschen mit Gott für Erfahrungen gemacht haben und machen. Damit sie uns heute tragen und ermutigen können.
Darum erzähle ich euch von der Geschichte vom Anfang.
Von diesem Zustand, den Gott gewollt hat und will.
Ich erzähle euch von diesem Traum für unser Leben hier in der Welt, hier in unserem Land, hier in unserer Stadt, in diesem Dorf. Ein Leben zusammen mit der ganzen Schöpfung. So wie vor tausenden von Jahren die Menschen schon davon geträumt haben, so wie Jesus es getan hat.
Gleichberechtigt, respektvoll, maßvoll, liebend mit Ruhe und Frieden.
Zusammen unter uns und zusammen mit Gott.
Gott fragt durch die Jahrtausend alten Geschichten,
damals wie heute für diesen Traum.
Gott fragt, weil Gott unsere Welt und uns liebt.
Er fragte Eustachius, er fragte Hubertus.
Gott fragt uns hier heute Abend:
Mensch, wo bist du?
Mensch, wer bist du?
Warum störst du?
Warum passt ihr nicht auf alles auf?
Damit einmal, einmal alles anders, einmal alles schön, alles heil, alles anders sein wird.
Amen.
Gehalten am 3. November 20242 zum Hubertustag
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