...unterm Kranz
Alle Jahre wieder - kommt der Advent. Das ist so klar, wie der Spekulatius, der im September frisch und knusprig in den Supermarktregalen liegt. Alle Jahre wieder, beschweren sich die einen, dass es doch noch viel zu früh ist für Adventsdekoration und Spekulatius und die anderen können es kaum erwarten die Halloween-Dekoration gegen die Weihnachts-Deko Ration auszutauschen und ab dem 1. November vorm Tannenbaum zu sitzen und „Last Christmas“ zu hören.
Alle Jahre wieder - scheint da die Kirche ein Ort der Zuverlässigkeit. Hier wird gewartet bis zum Totensonntag, vorher gibt es keine Adventsdekoration. Höchstens Krippenspielproben, denn die müssen ja irgendwie rechtzeitig anfangen.
Advent ist im Dezember heißt es laut von einer Kampagne der evangelischen Kirche und brav halten sich die Gemeinden daran. Und dann. Wenn es alle Jahre wieder soweit ist, geht es endlich los mit dem Advent und den schönen Liedern und dem Spekulatius beim Kirchenkaffee und natürlich auch mit dem Adventskranz in der Kirche. Der gehört dazu, ist ja klar! Und er gehört nicht ohne die eine, oder andere Erwartung dazu. Schön groß soll er sein und nicht zu schmal. Nicht zu üppig dekoriert, aber bitte auch mit ein paar kleinen Schleifen und natürlich den dicken roten Kerzen. Ach und passt bloß auf, dass er nicht zu früh nadelt!
Der Adventskranz gehört dazu. Wie auch in diesem einen Jahr. Auf einmal ist es wieder soweit. Gerade war doch noch Erntedank gewesen und alle hatten sich über die schöne Erntekrone gefreut und sie in mühseliger Arbeit geknüpft und dekoriert und aufgehängt. Schwups war Totensonntag und sie musste ab, damit dann auch Platz für ihren grünen Nachfolger gemacht werden konnte.
Und da ging es los.
Wie alle Jahre wieder:
Der Adventskranz - ein Drama in drei Akten.
Ähnlichkeiten zu bekannten Personen und Ereignissen sind rein zufällig.
Akt 1 - Die Erntekrone muss runter
Es ist kalt und nass. Der November zeigt, was er kann. Viele Menschen laufen heute nicht durch die Straßen. Das Laterne laufen ist vorbei und jetzt warten alle auf den Advent. In ein paar Fenstern hängen schön leuchtende Adventslichter. Aber darüber rümpft Frau Ordnung nur die Nase. ja, so heißt sie und ja sie macht ihrem Namen alle Ehre. Frau Ordnung findet es muss immer alles seine Ordnung haben und darum rümpft sie jetzt eben die Nase vor den viel zu frühen Adventslichtern. Vor Totensonntag leuchtet hier nichts! Murmelt sie und geht am Schaukasten der Kirche vorbei. Reingucken muss sie nicht, sie weiß, wann hier, was los ist. Sonntag ist Totensonntag, das ist doch klar! Auf einmal bleibt Frau Ordnung stehen. Ob wohl jemand daran gedacht hat, dass die Erntekrone runtergenommen werden muss? Die muss doch da weg für Totensonntag und überhaupt, hat wohl irgendjemand daran gedacht, dass der Adventskranz bestellt werden muss? Nicht, dass der dann fehlt. Frau Ordnung greift sofort zum Telefon und wählt schnell die Nummer von Herrn Immerda. Und ja, auch er macht seinem Namen allen Ehre. Natürlich geht er sofort ans Telefon. Er ist ja schließlich immer da. Vor allem für Frau Ordnung.
Hängt die Erntekrone noch? Und hat jemand den Adventskranz bestellt? Fragt Frau Ordnung, ohne dass Herr Immerdar ein fröhliches Moin sagen kann. Oh, ja, gute Frage. Das weiß ich jetzt auch nicht so genau. Antwortet er und Frau Ordnung kriegt die Krise. Aber was machen wir denn, wenn da keiner dran gedacht hat? Wie sieht das denn dann aus?
Warte mal ab, sagt Herr Immerda. Das weiß bestimmt jemand. Lass uns mal im Büro nachfragen. Praktischerweise steht Frau Ordnung ja immer noch direkt davor und geht schnurstracks hinein.
Drinnen sitzt Frau Offenesohr am Telefon. Frau Ordnung wippt ungeduldig mit dem Fuß, bis sie fertig ist und trägt sofort ihr Anliegen vor. Frau Offenesohr seufzt und sagt, tja, das wüsste sie jetzt auch nicht so genau mit der Erntekrone. Aber keine Sorge, der Adventskranz ist bestellt. Frau Ordnung könne ja mal in die Kirche gehen und nachsehen, ob die Erntekrone weg ist. Aber das wird schon alles. Zur Not können wir ja Herrn Immerdar und Herrn Vorstand fragen, ob sie das mal eben machen können.
Mal eben, grummelt Frau Ordnung, als ob das mal eben gemacht ist.
So gehen die beiden Frauen zur Kirche. Schließen auf und schauen gespannt nach oben.
Keine Erntekrone zu sehen.
Die Kirche scheint sie staunend anzusehen: Was soll die Aufregung? Ist doch alles gut.
So kommt auch ein tiefer Seufzer aus der Brust von Frau Ordnung. Hinter ihnen seufzt es gleich nochmal, Herr Immerda ist schnell mit seinem Fahrrad gekommen, um zu helfen, wenn es nötig ist. Aber nun ist ja alles gut, es kann Advent werden.
Es ist alles bereit.
Akt 2 - Der Adventskranz muss hoch
Frau Ordnung ist sich da nicht so sicher, ob alles bereit ist. Schließlich ist der Adventskranz noch nicht geliefert und nicht geschmückt und nun ist Totensonntag vorbei und viel Zeit ist nicht mehr.
Sie ruft also sofort am Montag Herrn Vorstand an. Der geht nicht ran. Viel zu tun, ist ja klar. Also ruft sie bei Frau Offenesohr an, aber die sagt auch nur, dass der Kranz diese Woche geliefert wird, wann genau, wisse sie auch nicht. Frau Ordnung mag dieses Warten gar nicht. Sie überlegt, ob sie Frau Gutenachricht anruft, aber lässt es dann doch erstmal sein. Die weiß sowieso nie, wann hier was ankommt. Die ist ja wenig hier.
Drei Tage schrecklichen Wartens vergehen. Frau Ordnung plant schon mit ihren Freundinnen Ersatzlösungen, da endlich kommt der Anruf: Der Kranz ist da. Wer hängt denn den jetzt auf?
Natürlich ist Herr Immerda sofort zur Stelle, Frau Ordnung sowieso und dann kommen auch noch Frau Zuverlässig und Herr Ich bindabei. Freudig gehen sie in die Kirche.
Da liegt der Adventskranz.
Naja, sagt Frau Zuverlässig. Der war aber auch schon mal größer. Alle nicken. Also früher sah der immer besser aus. Der wird doch bestimmt ganz schnell nadeln! Und ein bisschen schief sieht er irgendwie auch aus. Aber gut, was soll man machen?
Gemeinsam schmücken die vier den Kranz. Ganz sorgfältig und erzählen sich die Geschichten von den Adventskränzen früher, die so groß und so schön waren. Von dem warmen Gefühl im Bauch, wenn der Tannenduft in die Nase strömt und der kindlichen Vorfreude bei jeder angezündeten Kerze. Von dem Kinderchor von früher, der immer so schön gesungen hat und von der vollen Kirche damals. Herr Ichbindabei hat gehört, dass in anderen Kirchen jetzt sogar manchmal unechte Kerzen auf dem Adventskranz sind - wegen der Brandgefahr. Da können die vier nur spöttisch die Augenbrauen heben. Das geht doch nicht, es muss doch alles seine Adventsordnung haben.
Als sie mit dem Schmücken fertig sind, hängen sie den Adventskranz vorsichtig an seinen Haken. Da haben wir doch das Beste draus gemacht. Findet Herr Immerda. Aber er ist und bleibt schief, stöhnt Frau Ordnung.
In der Hoffnung, dass man das vielleicht nicht mehr sieht, wenn sie ihn hochfahren, holen sie die Fernbedienung. Und nichts passiert. Immer wieder drücken sie auf den Knopf, um den Kranz hochzufahren. Doch nichts. Nichts passiert.
Frau Ordnung rauft sich die Haare: Was machen wir denn jetzt? Wir können doch keinen Adventskranz auf dem Fußboden haben?
Herr Ich bindabei greift zu seinem Handy. Ich rufe mal Herrn Vorstand an. Und tatsächlich, der geht ans Telefon. Schon wieder? Fragt er nur. Da war doch grad ein Elektriker da! Ich komme rum.
Fünf Minuten später steht er in der Kirche und drückt auch nochmal auf den Knopf. Aber nichts passiert. Dann drückt er auf seinem Handy die Nummer vom Elektriker. Aber der hat natürlich nicht mal eben so Zeit.
So stehen sie da in der Kirche, um den Adventskranz herum. Der jetzt nicht nur schief ist, sondern auch noch am Boden.
Das kann ja was werden in diesem Advent.
Akt 3 - Die Kerze muss an
Die ganze Woche über versuchen immer wieder verschiedene Menschen den Adventskranz hochzukriegen. Begabte Technik-Menschen kommen und geben ihr Bestes. Immer wieder wird der Elektriker angerufen. Doch nie hat er Zeit, und niemandem sonst gelingt es den Kranz endlich an die Decke zu bringen.
Frau Ordnung träumt schlecht. Wahlweise von herunterfallenden Adventskränzen, oder brennenden.
Herr Immerda ist immer wieder in der Kirche und versucht alles. Herr Vorstand ruft schließlich Frau Gutenachricht an und überbringt die schlechte Nachricht. Die ist erstaunlich gelassen und sagt: Das bekommen wir schon hin.
Wie genau, sagt sie natürlich nicht. Diese positive Gelassenheit ist schwer zu ertragen, wenn der Advent nun fast da ist und nicht so ist, wie es sein soll. Doch nun ist es Samstag Abend und wenn kein Wunder passiert, dann gibt es dieses Jahr einen Adventskranz am Boden.
Und eine entsprechende Stimmung.
Alle sind am Boden. Es ist eben nicht alles bereit.
Wie soll denn da Advent werden?
Es wird Advent. Der Sonntag ist genauso nass und kalt wie die ganze Woche und der Adventskranz in der Kirche liegt auf den kalten Steinen, als Frau Ordnung, Frau Zuverlässig und Herr Immerda in die Kirche kommen. Was soll das nur werden?
Da kommt Frau Gutenachricht an und wirbelt in die Kirche. Fröhlich ruft sie allen einen frohen ersten Advent zu. Doch die anderen sehen sie nur deprimiert an. Wie soll denn das ein froher erster Advent sein?
Frau Gutenachricht stellt sich vor den Adventskranz und seufzt. Tja, wäre schon schöner, wenn er oben hängen würde. Auch sie probiert es noch einmal mit der Fernbedienung, aber auch sie hat kein Glück.
Und so läuten die Glocken und die Orgel spielt und der Adventskranz liegt auf dem Boden mit einer angezündeten Kerze.
Frau Gutenachricht muss jedes Mal aufpassen, dass sie ihren Talar nicht anzündet, wenn sie an ihm vorbeigeht.
Alle singen „Wie soll ich dich empfangen“ und hören die Geschichte von Jesus, der auf einem Esel nach Jerusalem einreitet und die Ankündigung des Retters aus dem prophetischen Buch Sacharja.
Und auf einmal wird es bei Frau Ordnung warm im Bauch, Herr Immerdar lächelt, Herr Vorstand nickt, Frau Zuverlässig und Herr Ichbindabei gucken sich erkennend an.
Es macht nichts.
Es muss noch gar nicht alles bereit sein.
Hauptsache sie sind hier, zusammen.
Die erste Kerze brennt.
Sie ist der Anfang, für das, was noch kommt.
Es muss nichts perfekt sein und nicht alles in Ordnung sein.
Jetzt ist Warten.
Darauf, dass das Wunder geschieht.
Alle Jahre wieder.
Amen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen